OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2021 - 3 M 156/20 - asyl.net: M30213
https://www.asyl.net/rsdb/m30213
Leitsatz:

Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klage auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug:

1. Die Abstammung der Kinder von den Eltern ist durch das Abstammungsgutachten mit großer Sicherheit nachgewiesen. Die Eheurkunde wird zwar wegen der Unzuverlässigkeit des Personenstandswesens in Somalia nicht anerkannt, die Umstände sprechen jedoch dafür, dass die Ehe geschlossen wurde. Die endgültige Klärung dieser Frage ist nur im Hauptsacheverfahren möglich.

2. Auch die Frage, ob von der Regelerteilungsvoraussetzung der Identitätsklärung im Ermessen abzusehen ist, muss ebensfalls im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Somalia, Familienzusammenführung, Prozesskostenhilfe, Heiratsurkunde, Urkundenüberprüfung, Identitätsklärung, Ermessen,
Normen: VwGO § 166, ZPO 114, AufenthG § 29, AufenthG § 30, AufenthG § 32, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a
Auszüge:

M30213, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2021 - 3 M 156/20

Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klage auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug:

1. Die Abstammung der Kinder von den Eltern ist durch das Abstammungsgutachten mit großer Sicherheit nachgewiesen. Die Eheurkunde wird zwar wegen der Unzuverlässigkeit des Personenstandswesens in Somalia nicht anerkannt, die Umstände sprechen jedoch dafür, dass die Ehe geschlossen wurde. Die endgültige Klärung dieser Frage ist nur im Hauptsacheverfahren möglich.

2. Auch die Frage, ob von der Regelerteilungsvoraussetzung der Identitätsklärung im Ermessen abzusehen ist, muss ebensfalls im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

(Leitsätze der Redaktion)
Schlagwörter: Somalia, Familienzusammenführung, Prozesskostenhilfe, Heiratsurkunde, Urkundenüberprüfung, Identitätsklärung, Ermessen,
Normen: VwGO § 166, ZPO 114, AufenthG § 29, AufenthG § 30, AufenthG § 32, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1a

[...]

Die Kläger weisen mit ihrer Beschwerde zutreffend darauf hin, dass die Prüfung des von ihnen geltend gemachten Visumanspruchs Fragen aufwirft, die der Klärung im Hauptsacheverfahren bedürfen, der Gewährung von Prozesskostenhilfe also nicht entgegenstehen.

Dies gilt zunächst für die Frage einer wirksamen Eheschließung zwischen der Klägerin zu 1 und Herrn …, die die Beklagte mit der Begründung bezweifelt, dass die vorgelegte Heiratsurkunde Fälschungsmerkmale aufweise. Für die Frage, ob eine Heirat belegt werden kann, ist zu berücksichtigen, dass Somalia nicht über ein intaktes Urkunden- oder Registerwesen verfügt. Die Kläger haben in diesem Zusammenhang auf die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hingewiesen, wonach es somalische Behörden seit 1991 nicht imstande sind, offizielle Dokumente auszustellen, und niemand in der Lage ist, Dokumente aus Somalia auf ihre Echtheit hin zu überprüfen (Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 9. September 2015 zu Somalia: ID-Dokumente). Auch die Beklagte macht nichts anderes geltend. Angesichts dessen stellt sich die - nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu klärende - Frage, ob die Forderung nach einer Vorlage derartiger Urkunden berechtigt ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Februar 2021 - OVG 3 M 63/20 - juris Rn. 4). Für eine erfolgte Eheschließung sprechen neben dem Umstand, dass Herr … schon bei seiner Anhörung im Asylverfahren am 13. Mai 2016 zu seinen persönlichen Verhältnissen angegeben hat, er habe bis zur Ausreise mit seiner Ehefrau, die er als junger Mann habe heiraten müssen, und seinen zehn Kindern, sechs Söhnen und vier Töchtern, zusammengelebt, die eingeholten Abstammungsgutachten vom 20. August 2018, nach denen für die Kläger zu 3 bis 11 die gemeinsame Elternschaft der Klägerin zu 1 und des Herrn ..., für den Kläger zu 2 die Mutterschaft der Klägerin zu 1 "praktisch erwiesen" ist. Es obliegt, ggf. nach weiterer Aufklärung im gerichtlichen Verfahren (§ 86 Abs. 1 VwGO), der abschließenden Bewertung im Hauptsacheverfahren, ob auf dieser Tatsachengrundlage die erforderliche Überzeugung gebildet (§ 108 Abs. 1 VwGO) werden kann, dass und ggf. wann eine Eheschließung zwischen der Klägerin zu 1 und Herrn ... erfolgt ist. [...]

Hinreichende Erfolgsaussichten der Klage sind auch nicht mit Blick auf die Regelerteilungsvoraussetzung der Klärung der Identität (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) zu verneinen. Zwar spricht angesichts des geschilderten Personenstandswesens in Somalia alles dafür, dass die Identität aller Kläger, zumindest ihr Geburtsdatum, durch die vorgelegten Geburtsurkunden nicht hinreichend geklärt ist. Es bleibt indessen der abschließenden Bewertung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob ein Absehen von dieser Regelerteilungsvoraussetzung gerechtfertigt oder mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) geboten ist. Soweit das Verwaltungsgericht dies mit der Begründung verneint hat, die Kläger könnten zumutbar an der Aufklärung ihrer Identität mitwirken, bleibt unklar, in welcher Weise dies erfolgen sollte. Die angesprochene Vorlage sonstiger Dokumente wie z.B. Schulzeugnisse dürfte, selbst wenn den Klägern die Beschaffung derartiger Unterlagen von Uganda aus möglich sein sollte, angesichts der Probleme des Urkundenwesens in Somalia ähnlichen Unsicherheiten ausgesetzt sein wie die vorgelegten Geburtsurkunden. [...]