Wehrpflichtiger Person aus Armenien ist während Berufsausbildung Ausweisersatz und Aufenthaltserlaubnis zu erteilen:
Einem armenischen Staatsangehörigen im wehrpflichtigen Alter ist es nicht zumutbar, einen armenischen Pass zu erlangen, wenn er hierfür in Armenien Militärdienst ableisten und deshalb seine Ausbildung abbrechen müsste. Insbesondere ist ein Freikauf vom Wehrdienst in Armenien erst nach Vollendung des 27. Lebensjahrs möglich.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
18 Die Klage ist auch begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. [...]
22 Der Kläger erfüllt auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass die Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt wird. Diese Voraussetzung gilt grundsätzlich auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 25a Abs. 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 – 1 C 17.12 –, juris Rn. 18). Der Pass des Klägers war zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung noch gültig. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ist jedoch die letzte mündliche Verhandlung. [...]
23 Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AufenthG genügt für den Aufenthalt im Bundesgebiet auch der Besitz eines Ausweisersatzes gemäß § 48 Abs. 2 AufenthG. Danach genügt ein Ausländer, der einen Pass oder Passersatz weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist. Wann ein solcher Ausweisersatz zu erteilen ist, ist in § 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthV geregelt. Dort heißt es, dass einem Ausländer, der einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz nicht besitzt und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann (Nr. 1) auf Antrag ein Ausweisersatz ausgestellt wird, sofern er einen Aufenthaltstitel besitzt oder seine Abschiebung ausgesetzt ist. Die Zumutbarkeit ist zwar grundsätzlich ein unbestimmter Rechtsbegriff, der einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. § 55 Abs. 1 Satz 2 AufenthV verweist jedoch auf § 5 Abs. 2 AufenthV, der wiederum Regelbeispiele nennt, bei denen eine Zumutbarkeit regelmäßig anzunehmen ist. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV ist die Wehrpflicht zumutbar, sofern deren Erfüllung nicht aus zwingenden Gründen unzumutbar ist. [...]
24 Gemessen an diesen Maßstäben ist die Ableistung des zweijährigen Wehrdienstes unzumutbar für den Kläger. Er befindet sich derzeit in einem Ausbildungsverhältnis im dritten Lehrjahr und es sind aktuell keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er die Ausbildung nicht erfolgreich abschließen wird. Durch eine freiwillige Ausreise müsste der Kläger seine Berufsausbildung abbrechen und könnte sie voraussichtlich auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder fortführen bzw. abschließen [...]. Als Vergleichsmaßstab ist die derzeit ausgesetzte deutsche Wehrpflicht heranzuziehen, bei der nach § 12 Abs. 4 Nr. 3 e) WPflG ein Wehrdienstpflichtiger vom Wehrdienst zurückgestellt werden soll, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst eine besondere Härte bedeuten würde. [...] Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Ableistung der Wehrpflicht im Rahmen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV unter anderem als zumutbar angesehen wird, weil der Eingriff in die Passhoheit des Heimatstaates vermieden werden soll. Dieses Problem stellt sich jedoch bei entsprechender Anwendung des § 5 AufenthV über den § 55 Abs. 1 Satz 2 AufenthV nicht. Die Ausstellung eines Passersatzes greift gerade nicht in die Passhoheit des Heimatstaates ein. Daher ist an die Zumutbarkeit auch ein wenig strenger Maßstab zu stellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 04. April 2011 – 13 ME 205/10 –, juris Rn. 8).
25 Dem Kläger ist auch ein Freikaufen vom Wehrdienst nicht möglich. Dies ist erst ab dem 27. Lebensjahr möglich und es ist ihm nicht zuzumuten, solange auf eine Aufenthaltserlaubnis zu verzichten (vgl. VG Münster, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 3 L 747/20 –, juris Rn. 37). [...]