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Zitieren als:
Landesbehörden, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 12.10.2021 - IV 206-66849/2021 - asyl.net: M30243
https://www.asyl.net/rsdb/m30243
Leitsatz:

Integrationsministerium Schleswig-Holstein: Aufenthaltsrechtliche Regelungen für afghanische Staatsangehörige:

1. Die afghanischen Vertretungen in Deutschland erbringen weiterhin konsularische Dienstleistungen. Dokumentenrechtliche Anfragen werden jedoch nur in einem eng begrenzten Umfang bearbeitet.

2. Afghanische Staatsangehörige sind weiterhin dazu verpflichtet, an der Identitätsklärung und Passvorlage mitzuwirken. Im Einzelfall ist zu prüfen, welche Mitwirkung gegenwärtig möglich und zumutbar ist. Es liegt nahe, dass in vielen Fällen eine Passbeschaffung derzeit nicht zumutbar ist.

3. In Fällen bisher geduldeter afghanischer Staatsangehöriger soll die Duldung um folgende Zeiträume verlängert werden: 12 Monate bei geklärter Identität und ohne Vorstrafen; 6 Monate bei ungeklärter Identität ohne Vorstrafen; 3 Monate bei Vorstrafen von mindestens 50 Tagessätzen.

4. Eine (freiwillige) Ausreise nach Afghanistan dürfte auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Entsprechend ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommt.

(Leitsätze der Redaktion)

Hinweis:

Schlagwörter: Afghanistan, Identitätsklärung, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Reiseausweis für Ausländer, Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Weisung,
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 60a Abs. 2, AufenthG § 22,
Auszüge:

[...]

1. Identitätsklärung und Passbeschaffung

Nach Aussage des BMI erbringen die afghanischen Vertretungen in Deutschland (Botschaft in Berlin, Generalkonsulate in Bonn und München) weiterhin grundsätzlich konsularische Dienstleistungen. Dokumentenrechtliche Anfragen werden nach offiziellen Angaben der afghanischen Botschaft aus technischen Gründen jedoch nur in einem eng begrenzten Umfang bearbeitet. [...]

Dies führt dazu, dass es einer Entscheidung im konkreten Einzelfall bedarf, ob eine Mitwirkung bei der Identitätsklärung gegenwärtig möglich und die mangelnde Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung insoweit vorwerfbar ist. Aufenthaltsrechtliche Sanktionen, wie sie in den §§ 60a Abs. 6 Nr. 2 und 60b AufenthG vorgesehen sind, können grundsätzlich auch weiterhin verfügt werden. Bei der Abwägung der Zumutbarkeit im Einzelfall sollten jenseits der grundsätzlichen Aussagen des BMI die tatsächliche Erreichbarkeit der afghanischen Auslandsvertretung berücksichtigt werden. Es ist hier denkbar, dass in einer Vielzahl von Einzelfällen keine Zumutbarkeit der Passbeschaffung gegeben ist. [...]

Um die Anzahl von Vorsprachen bei den Zuwanderungsbehörden zur Duldungsverlängerung im Sinne aller Beteiligten auf das notwendige Mindestmaß zu reduzieren, sollen bei anstehenden Duldungsverlängerungen gestaffelte Befristungen wie nachfolgend beschrieben angewendet werden:

- bei afghanischen Staatsangehörigen ohne Vorstrafen und mit geklärter Identität Verlängerung um 12 Monate

- bei afghanischen Staatsangehörigen ohne Vorstrafen und mit ungeklärter Identität Verlängerung um 6 Monate

- bei afghanischen Staatsangehörigen mit Vorstrafen von mehr als 50 Tagessätzen und unabhängig von der Identitätsklärung: Verlängerung um 3 Monate. [...]

Dies gilt auch für die aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten des § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis ist unter folgenden (a - c), kumulativen Voraussetzungen möglich:

a. Gegebene vollziehbare Ausreisepflicht

Da eine vollziehbare Ausreiseverpflichtung Voraussetzung für die Duldungserteilung ist, ist diese Voraussetzung in den Fällen der gegenwärtig in Schleswig-Holstein aufhältigen geduldeten afghanische Staatsangehörigen gegeben.

b. Ausreise ist aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich

Als Ausreise aus dem Bundesgebiet gilt in diesem Zusammenhang sowohl die Abschiebung als auch eine nicht im Rahmen des unmittelbaren Verwaltungszwangs erfolgte Ausreise (freiwillige Ausreise). [...]

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist ein zielstaatsbezogener Aspekt, der generell der Bewertung durch das BAMF obliegt. Da die gegenwärtig unsichere Lage in Afghanistan jedoch allgemein und im hinreichende Maße bekannt ist, kann im Einzelfall auch durch die ZBH erwogen werden, ob grund- und menschenrechtlich geschützte Rechtspositionen des Einzelnen betroffen sein können und damit unter dem Maßstab einer Verhältnismäßigkeit einer freiwilligen Ausreise als rechtliches Ausreisehindernis entgegenstehen. Im Ergebnis wird die Prüfung durchaus zu der typisierten Annahme gelangen können, dass das Tatbestandsmerkmal der rechtlichen Unmöglichkeit aktuell als erfüllt anzunehmen ist. Hierauf weisen auch aktuelle Einschätzungen der EU-Kommission (und auch andere Quellen) hin, wonach die wirtschaftliche und humanitäre Lage als äußerst prekär beschrieben wird. [...]

c  Kein Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit

Die gegenwärtige Situation in Afghanistan ist volatil und wird bis auf absehbare Zeit schwierig bleiben. Es liegen gegenwärtig keine Hinweise darüber vor, ob, wann und inwieweit sich diese Lage soweit verändern kann, dass sie den europäischen Anforderungen an eine hinreichend sichere Rückkehr entspricht.

Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

Sollten neben den vorstehend unter 3 a-c genannten Aspekten auch die weiteren allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt sein, ist auf der Rechtsfolgenseite der Entscheidungsspielraum der Zuwanderungsbehörde für eine im Rahmen der Ermessensausübung zu erteilende Aufenthaltserlaubnis eröffnet.

Auf die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG wird verwiesen. Gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann im Einzelfall von der Voraussetzung des § 5 Absätze 1 und 2 AufenthG abgesehen werden.

Gem. § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG jedoch für längstens sechs Monate zu erteilen, solange sich der Begünstigte noch nicht mindestens 18 Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Der Familiennachzug wird in diesen Fällen aus gesetzlichen Gründen nicht gewährt (vergl. § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). [...]