VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 03.12.2021 - 37 K 160.19 A - asyl.net: M30268
https://www.asyl.net/rsdb/m30268
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Armenien wegen schwerer, behandlungsbedürftiger Erkrankung:

1. Die Rückenerkrankung Spondylitis ist grundsätzlich in Armenien behandelbar. Die Behandlungskosten müssen jedoch von den Betroffenen selbst getragen werden.

2. Vorliegend ist der Kläger nicht in der Lage, die Behandlungskosten zu tragen.

(Leitsätze der Redaktion; siehe zur medizinischen Versorgung in Armenien auch: VG Würzburg, Urteil vom 06.07.2020 - W 8 K 19.31125 - asyl.net: M28682; VG Magdeburg, Urteil vom 08.02.2019 - 3 A 387/17 MD - asyl.net: M27156)

Schlagwörter: Armenien, medizinische Versorgung, Krankenversicherung, Behandlungskosten, wesentliche Verschlechterung, schwerwiegende Erkrankung, psychische Erkrankung, Medikamente,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3,
Auszüge:

[...]

Es liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG für Armenien vor. [...]

Bei einer Rückkehr nach Armenien würrde sich der bereits gravierend beeinträchtigte Gesundheitszustand des Klägers aller Voraussicht nach binnen kürzester Zeit erheblich verschlechtern, da die erforderliche Therapie mit TNF-Alpha-Blockern aufgrund der hohen Kosten für den Kläger in Armenien nicht erhältlich ist. [...]

Zwar ist ankylosierende Spondylitis nach den vorliegenden Erkenntnissen grundsätzlich auch in Armenien behandelbar. Nach Auskunftslage stehen in Armenien Medikamente aus der Gruppe der TNF-Alpha-Blocker zur Verfügung, beispielsweise der Wirkstoff Infliximab, der Wirkstoff Golilumab und der Wirkstoff Etanercept (vgl. Auskunft der Vertrauensärztin der Deutschen Botschaft Eriwan an das Verwaltungsgericht Berlin vom 26. März 2021 im hiesigen Verfahren).

Problematisch ist jedoch, dass die erheblichen Kosten für TNF-Alpha-Blocker in Armenien vollständig von den Patienten selber getragen werden müssen. Nach Auskunft der Vertrauensärztin der Deutschen Botschaft in Eriwan liegen die Kosten für den TNF-Alpha-Blocker Etanercept bei 120.000 AMD (= rund 215 Euro) für zwei Spritzen, die Kosten für den TNF-Alpha-Blocker Infliximab bei 120.000 AMD (= rund 215 Euro) je Spritze und die Kosten von Golilumab bei 290.000 AMD (rund 524 Euro) je Spritze. Dies bedeutet, dass auf den Kläger im Falle einer Rückkehr zur Fortführung seiner Therapie erhebliche Kosten von mehreren Hundert bis zu 1000 Euro im Monat zukämen. Angesichts der Tatsache, dass das Existenzminimum in Armenien derzeit bei knapp 100 Euro im Monat liegt und dass der offizielle Mindestlohn ca. 90 Euro im Monat beträgt, sind dies exorbitant hohe Kosten, die der erwerbsunfähige und mittellose Kläger selbst mit Hilfe seiner in Armenien lebenden Familienangehörigen nicht tragen könnte (vgl. zum Existenzminimum und zur Höhe des Mindestlohns den Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Armenien vom 20. Juni 2021, S. 18 - der  Lagebericht ist Teil der im Internet unter der Adresse www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/service/erkenntnismittellisten/armenien/ veröffentlichten Erkenntnismittel des Gerichts vom 28. Juni 2021 und auf Anfrage in der Geschäftsstelle der 37. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin einsehbar). Das heißt, die Rückkehr-nach Armenien.würde für den Kläger aller Voraussicht nach auf den Abbruch der Therapie mit TNF-Alpha-Blockern hinauslaufen. Die Frage, ob es dem Kläger zumutbar wäre, von dem TNF-Alpha-Blocker Cimzia auf einen der in Armenien verfügbaren alternativen TNF-Alpha-Blockern umzusteigen, muss daher an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. [...]