VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 17.12.2021 - 11 K 410/21.TR - asyl.net: M30276
https://www.asyl.net/rsdb/m30276
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für exilpolitisch aktiven Monarchisten aus dem Iran:

Eine Person, die im Internet unter Veröffentlichungen des Klarnamens die iranische Regierung kritisiert und sich für die Rückkehr des Schahs in den Iran einsetzt, ist als Flüchtling anzuerkennen. Es ist davon auszugehen, dass die Aktivitäten dem iranischen Geheimdienst bekannt geworden sind. Bei einer Rückkehr müsste die betroffene Person mit einer Festnahme und damit einhergehender menschenrechtswidriger Behandlung rechnen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Monarchisten, Exilpolitik, politische Verfolgung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Nach dieser Maßgabe steht dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, da er wegen seiner in Deutschland ausgeübten Internetaktivitäten bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Gefährdung seitens des iranischen Staates unterliegt.

Bereits im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. November 2009 ist ausgeführt, dass wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in den Iran in erster Linie exponierten Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohen kann. Die iranischen Sicherheitsbehörden seien grundsätzlich jedoch an allen separatistischen und anderen als staatsgefährdend bewerteten Bestrebungen und Aktivitäten iranischer Kreise in der Bundesrepublik Deutschland interessiert. Die iranischen Sicherheitskräfte und der iranische Geheimdienst verfügten in der Bundesrepublik Deutschland sowohl innerhalb als auch außerhalb der diplomatischen Vertretungen des Iran über ein Netz von Mitarbeitern, die staatsschutzrelevante Aktivitäten aufmerksam beobachteten, überwachten und registrierten. Ebenso werde von den iranischen Sicherheitsstellen die Berichterstattung deutscher und anderer Medien verfolgt und ausgewertet. Auch im Lagebericht vom 5. Februar 2021 ist ausgeführt, dass Iranerinnen und Iraner, die im Ausland lebten und sich dort öffentlich regimekritisch äußerten, von Repressionen bedroht seien. Auch Aktivitäten von iranischen Staatsangehörigen im Ausland in sozialen Netzwerken würden überwacht und Äußerungen abweichender politischer Meinungen kriminalisiert. Weitgefasste Auslegung von Gesetzen ermögliche es, in sozialen Netzwerken veröffentlichte politisch abweichende Meinungen zu kriminalisieren und hart zu bestrafen (Schweizerische Flüchtlingshilfe Iran: Risiken im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von kritischen Informationen in sozialen Netzwerken vom 25. April 2019).

Die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen in Iran nach den Wahlen sind dabei bei der Würdigung exilpolitischer Tätigkeiten von Exiliranern mit in den Blick zu nehmen, da sie zumindest tendenziell auch eine Verschärfung der Sichtweise iranischer Stellen in Bezug auf das Exilverhalten von Auslandsiranern implizieren dürften, auch wenn dem Auswärtigen Amt bislang noch keine Erkenntnisse über die neue Situation vorliegen.

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sind nach Überzeugung der Berichterstatterin die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers geeignet, eine Rückkehrgefährdung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auszulösen. In Ansehung der Art und des Inhaltes der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gezeigten Internetaktivitäten ist davon auszugehen, dass die iranischen Sicherheitskräfte an ihm ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse haben könnten. Da der Kläger mit vollem Namen als Verfasser der regimekritischen Inhalte in Erscheinung getreten ist, ist anzunehmen, dass er durch seine Aktivitäten dem iranischen Geheimdienst auch bekannt geworden ist und dessen Aufmerksamkeit erlangt hat. Die auf den Internetseiten zum Ausdruck kommende massive Kritik am iranischen Regime verbunden mit dem Einsatz für die Rückkehr des Schah nach Iran dürften aller Voraussicht nach geeignet sein, den Kläger seitens der iranischen Stellen als ernst zu nehmenden regimekritischen Gegner anzusehen. Sie dürften die Schwelle des bei Auslandsaktivitäten von Exiliranern aus iranischer Sicht noch Hinnehmbaren überschritten haben. Es ist daher zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit relevanten Repressalien ausgesetzt sein wird. Er muss aller Voraussicht nach mit einer erneuten Festnahme und damit einhergehender menschenrechtswidriger Behandlung rechnen. [...]