VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 28.07.2021 - 26 K 14970/17.A - asyl.net: M30291
https://www.asyl.net/rsdb/m30291
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für Ehepaar aus Aserbaidschan:

Familienangehörigen von Regimekritiker*innen droht in Aserbaidschan unmenschliche Behandlung in Form von willkürlichen staatlichen Repressalien und Inhaftierungen. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aserbaidschan, Sippenhaft, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, subsidiärer Schutz, Opposition, Reflexverfolgung, Familienangehörige,
Normen: AsylG § 4,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben steht aufgrund der Erkenntnislage und der Vernehmung des Zeugen A. in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fest, dass den Klägern in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden aufgrund einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG droht.

Den Klägern drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit willkürliche staatliche Repressalien aufgrund von Sippenhaft, vor allem in Gestalt grundloser bzw. politisch motivierter Inhaftierungen, bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland, was nach den obigen Maßstäben eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellt. Es kann insofern allerdings dahinstehen, ob die Kläger 2016 bereits vorverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist sind und daher zu ihren Gunsten die widerlegbare Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird, greift. Denn besteht anhand der aktuellen Auskunftslage sowie nach der Vernehmung des Zeugen A. eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Klägern jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland die oben genannte unmenschliche Behandlung aufgrund der anhaltenden exilpolitischen Aktivität ihres Sohnes, dem Zeugen A., droht.

Die Kläger haben glaubhaft dargelegt, dass ihr Sohn, der Zeuge A., eine erhebliche exilpolitische Betätigung nach seiner Ausreise in die Niederlande über seinen Youtube-Channel "..." sowie das Oppositionsmedium ... aufrecht erhält und es dadurch zu einer reflexhaften Verfolgung der Kläger als dessen Eltern kommt. Denn die dahingehende Auskunftslage zu Aserbaidschan weist jedenfalls seit den Jahren 2017 und 2018 in einschlägigen Berichten über den Umgang mit Regimekritikern darauf hin, dass es bei Angehörigen exilpolitischer Oppositionsaktivisten vermehrt zu Fällen von Sippenhaft gekommen ist. Es wird über gezielte Jobverluste bis hin zu polizeilichen Vorladungen und gerichtlichen Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen von Angehörigen in Aserbaidschan berichtet, die nach Kenntnis der Auskunftsstellen auf die exilpolitische Betätigung eines Familienmitglieds im Ausland zurückzuführen sind (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2018 – 508-516.80/50408; Norwegian Country of Origin Information Centre (Landinfo), Azerbaijan: The situation for regime critics vom 13.10.2017, S. 12 f. und 25). [...]

Überdies tragen auch die Erkenntnisse aus den seitens der Kläger bei dem Bundesamt vorgelegten niederländischen Asylbescheiden des Zeugen A. sowie dessen Frau und Kind zur Überzeugung des Gerichts bei, dass es sich bei dem Zeugen A. um einen exilpolitisch in deutlich exponierter Weise aktiven Regimekritiker handelt. Aus den niederländischen Bescheiden ist ersichtlich, dass der Zeuge A. entgegen der Annahme der Beklagten in den Niederlanden als Flüchtling anerkannt worden ist, nämlich nach Art. 29 Abs. 1 Buchstabe a des niederländischen Vreemdelingenwet (Vw), also Ausländergesetzes, als sog. Vertragsflüchtling. Die Ehefrau des Zeugen A. hat ausweislich des ebenfalls vorgelegten niederländischen Asylbescheids hingegen subsidiären Schutz nach Art. 29 Abs. 1 Buchstabe b Vw erhalten. [...]