VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 08.12.2021 - 5 K 1854/18.A - asyl.net: M30341
https://www.asyl.net/rsdb/m30341
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Katholikin aus Pakistan wegen Verfolgung durch die Taliban:

1. Einer Katholikin aus Pakistan, die von einem Taliban-Anhänger bedrängt wurde, zum Islam zu konvertieren und ihn zu heiraten, droht flüchtlingsrelevante Verfolgung.

2. Eine inländische Fluchtalternative besteht für eine alleinstehende christliche Frau nicht, da sie in anderen Landesteilen nicht in der Lage wäre, ihre Existenz zu sichern. Dies lässt sich mit der schlechten sozioökonomischen Situation christlicher Glaubensangehöriger in Pakistan und der besonderen Vulnerabilität als alleinstehende Frau begründen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Pakistan, Katholiken, Christen, alleinstehende Frauen, interne Fluchtalternative, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Maßstäbe besteht für die Klägerin ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist nach ihrer Anhörung davon überzeugt, dass ihr in Pakistan in flüchtlingsschutzrelevanter Weise Verfolgung durch ein Mitglied der Taliban widerfahren ist bzw. unmittelbar gedroht hat. Sie hat mit Blick auf den Inhalt des Bundesamtsprotokolls noch verbleibende Zweifel an der Überzeugungskraft ihrer Schilderungen ausgeräumt, weil sie in der Lage gewesen ist, die erfolgten Übergriffe und Einzelheiten ihrer daran anschließenden Flucht ohne Zögern und hinreichend widerspruchsfrei darzustellen. Namentlich wusste die Klägerin im Rahmen ihrer Möglichkeiten nachvollziehbar zu beschreiben, wie sie in das Visier der dieses Verfolgers geraten ist und in flüchtlingsschutzrelevanter Weise in Anspruch genommen und fortlaufend bedroht gewesen ist. Das Gericht ist darüber hinaus auch davon überzeugt, dass das Verfolgungsinteresse nicht abgeschlossen gewesen ist, denn nach der Lebenserfahrung und der Wahrscheinlichkeit haben ihr weitere Verfolgungsmaßnahmen gedroht. Darüber hinaus hat sie glaubhaft machen können, in Pakistan praktizierende Katholikin und damit Angehörige der christlichen Minderheit gewesen zu sein. [...]

Bei den von der Klägerin geschilderten Ereignissen handelt es sich um eine Verfolgung im Sinne des § 3c AsylG, denn sie geht von den auch in Pakistan tätigen Taliban (vgl. dazu etwa: Auswärtiges Amt (AA), Auskunft an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom zwei 20. August 2011) aus. Hierbei handelt es sich um einem nichtstaatlichen Akteur, wobei die in den Nummern 1 und 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Der Klägerin steht auch kein interner Schutz zur Seite. Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß Abs. 2 Satz 1 sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen.

Eine interne Schutzalternative für die Klägerin besteht nach diesen Maßgaben nicht. Zwar ist nach der Rechtsprechung u.a. des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 23 August 2021 -4 A 1671/19.A - (juris) grundsätzlich davon auszugehen, dass auch vorverfolgt ausgereiste Christen in Pakistan internen Schutz erlangen können, indem sie in die Großstädte des Landes ausweichen. Dabei legt das Gericht ferner zugrunde, dass Organisationen wie etwa die Taliban grundsätzlich keine sich auf sämtliche Landesteile Pakistans erstreckende Macht besitzen bzw. nicht in der Lage sind, Personen in anderen Landesteilen ohne weiteres aufzuspüren.

Im vorliegenden Einzelfall steht allerdings zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin nicht in zumutbarer Weise ihre Existenz in einem anderen Landesteil Pakistans sicherstellen könnte und sich deshalb nicht vernünftigerweise dort niederlassen kann. Dabei legt das Gericht zunächst zugrunde, dass Christen zwar - im Unterschied etwa zu den Ahmadis - in der Regel frei in der öffentlichen Ausübung ihres Glaubens, sind. Gleichwohl sind sie insoweit verwundbarer, als sie fast ausschließlich der sozioökonomischen Unterschicht angehören. Infolge des radikalislamischen Einflusses in der Gesellschaft besteht Druck auf christliche Gemeinden. Christen werden immer wieder Opfer radikalislamischer Gewalt. Mordanschläge sind z.B. dem Islamischen Staat (IS) zuzuschreiben. Das Verhältnis zwischen der muslimischen Mehrheit und der christlichen Minderheit ist nicht konfliktfrei. Diskriminierung im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ist verbreitet. Es gibt eine breite christliche Unterschicht, die sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt. Viele Christen leben in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Auf dem Lande befindet sich die Mehrzahl der Christen als einfache Pächter in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Großgrundbesitzern. Es gibt allerdings auch kleine Landbesitzer, die häufig in rein oder überwiegend christlichen Siedlungen leben. Bei einer Rückkehr ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Katholiken in den dortigen christlichen Gemeinden im Rahmen von deren Möglichkeiten geholfen wird. Diese Möglichkeiten sind indessen nur sehr begrenzt und der gesellschaftliche Druck aus dem islamischen Umfeld ist so groß, dass ein wirklicher Schutz nur in ganz seltenen Fällen möglich ist (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Mai 2021) vom 28. Dezember 2021; Bundesamt; Länderreport 1: Pakistan. Lage der Christen vom 1. November 2018; Deutsche Bischofskonferenz, Antwort auf eine Anfrage des Hamburgischen OVG vom 18. November 2003).

Im vorliegenden Einzelfall ist vor diesem Hintergrund zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin als alleinstehende Frau in einem islamischen Land selbst dann nur schwerlich ihre Existenz sichern kann, wenn sie sich in einem - fremden - christlichen Umfeld niederließe. Insoweit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die katholische Minderheit in Pakistan nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, die Klägerin als fremde Glaubensangehörige in einer Weise aufzunehmen, dass sowohl für sie, als auch die aufnehmende Kirchengemeinde bzw. Gläubige ihre dauerhafte Versorgung zumutbar erscheint. Hierbei ist von weiterer Bedeutung, dass die Klägerin ihren glaubhaften Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung zufolge nicht über verwandtschaftliche Beziehungen in anderen Landesteilen verfügt, sondern ihre Familie in ihrem Herkunftsort lebt. Mit Blick darauf wäre sie darauf verwiesen, bei fremden Personen Zuflucht zu suchen. Zwar sind ihre Familienangehörigen offenbar nicht wirtschaftlich derart unter Druck, dass sie für die Klägerin keine Unterstützung leisten könnten. Indes geht das Gericht davon aus, dass die finanziellen Möglichkeiten ihrer Familie wiederum nicht so groß sind, ein Überleben der Klägerin in anderen Landesteilen und bei Dritten dauerhaft zu sichern. Schließlich hat das Gericht berücksichtigt, dass die Klägerin ihren glaubhaften Angaben zufolge bis zu ihrer Ausreise nicht von eigener Erwerbstätigkeit gelebt hat, sondern lediglich ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde tätig gewesen ist. Mangels einer tragfähigen Berufserfahrung dürfte ihr die Integration in ein fremdes Umfeld noch schwerer fallen als ohnehin. [...]