VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 20.08.2021 - 25 L 112/21.A - asyl.net: M30356
https://www.asyl.net/rsdb/m30356
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Abschiebung eines homosexuellen Mannes in den Irak:

Homosexuellen Personen droht bei Rückkehr in den Irak grundsätzlich unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, homosexuell, Zweitantrag, vorläufiger Rechtsschutz, LSBTI, EMRK,
Normen: EMRK Art. 3, AsylG § 71a,
Auszüge:

[...]

Der erkennende Einzelrichter geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsteller offen und verfestigt homosexuell ist, diese geschlechtliche Neigung im Falle einer Rückkehr nicht vollständig verbergen würde und ihm im Fall einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund dessen die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht.

Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung nachvollziehbar vorgetragen, homosexuell veranlagt zu sein und bereits vor seiner Flucht aus dem Irak homosexuelle Erfahrungen gesammelt zu haben. Auch das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid ausdrücklich erklärt, dass dies nicht bezweifelt werde (Seite 7 oben).

Hiervon ausgehend drohen dem Antragsteller Im Falle seiner Rückkehr Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG, denn Personen mit einer verfestigten abweichenden sexuellen Identität, d.h. insbesondere homosexueller, bisexueller, transsexueller und intersexueller Identität, (nachfolgend LGBTI-Personen) sind im Irak einer gruppenförmigen Verfolgung ausgesetzt (vgl. z.B. VG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2018 - VG 25 K 327.17 A -, juns Rn.21 ff.; VG Dresden, Urteil vom 19. März 2021 - 13 K 2639/18.A -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 24. September 2018 - 8 A 7823/16 -, Juris Rn. 32 ff.; VG Göttingen, Urteil vom 8. November 2018 - 2 A 292/17 - juris Rn.34 ff.). So hat etwa die 28. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin mit Urteil vom 2. Dezember 2021 - VG 26 K 675.17 A - u.a. ausgeführt:

"[...] Es existiert für homosexuelle Männer im Irak kein Schutz vor solcher Verfolgung. Die in § 3d Nr. 1 AsylG (Staat) und Nr. 2 AsylG (Parteien oder Organisationen) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen sind nicht willens oder in der Lage, Schutz vor Verfolgung gemäß § 3d Abs. 2 AsylG zu bieten; staatliche Sicherheitskräfte sind - wie dargestellt - sehr ambivalent. Staatliche Rückzugsorte gibt es nicht, Nichtregierungsorganisationen können verlässliche Schutzräume nicht hinreichend eröffnen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak, 2. März 2020, S. 18)."

Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Einzelrichter an. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die oben dargestellte Bedrohungslage im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich verändert hätte. LGBTI-Personen werden vielmehr weiterhin diskriminiert und sozial ausgegrenzt. Ihnen wird weder Schutz durch die Polizei gewährt, noch können sie anderweitig Schutz suchen. Sie sind nach wie vor Opfer von Bedrohungen und Gewalt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand Januar 2021, S. 15; VG Berlin, Urteil vom 28. Juli 2021 - VG 26 K 158.17 A).

Gründe, wieso dies im Fälle des Antragstellers nicht der Fall sein sollte, sind nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Antragsteller bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 offenbar noch nicht Opfer schwerwiegender Verfolgungshandlungen geworden ist, ist insoweit unergiebig. [...]