VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 17.12.2021 - 3 A 709/16 - asyl.net: M30365
https://www.asyl.net/rsdb/m30365
Leitsatz:

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu weiterwandernden, langfristig Aufenthaltsberechtigten: 

Zu der Frage, ob § 38a Abs. 1 AufenthG mit der DauerAufenth-RL (2003/109/EG) vereinbar ist, soweit die nationale Regelung verlangt, dass die Rechtsstellung als langfristig aufenthaltsberechtigt in einem EU-Mitgliedstaat auch bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG vorliegen muss.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Daueraufenthaltsberechtigte, Daueraufenthalt, Aufenthaltstitel, Erlöschen, Darlegungslast, langfristig Aufenthaltsberechtigte, soggiornante di lungo periodo, Daueraufenthaltsrichtlinie, Verlängerung,
Normen: AEUV Art. 267, AufenthG § 38a Abs. 1 S. 1, RL 2003/109/EG Art. 14, RL 2003/109/EG Art. 15,
Auszüge:

[...]

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV ersucht, eine Vorabentscheidung zu folgenden Fragen zu treffen:

1. Steht § 38a Abs. 1 AufenthG, der nach nationalem Recht dahingehend auszulegen ist, dass der weiterwandernde langfristig Aufenthaltsberechtigte auch im Zeitpunkt der Verlängerung seines Aufenthaltstitels die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in dem ersten Mitgliedstaat innehaben muss, mit den Regelungen der Art. 14 ff. RL 2003/109/EG in Einklang, die lediglich bestimmen, dass ein langfristig Aufenthaltsberechtigter das Recht hat, sich länger als drei Monate im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten als desjenigen, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, aufzuhalten, sofern die in dem Kapitel III der Richtlinie im Übrigen festgelegten Bedingungen erfüllt sind?

2. Ist die Ausländerbehörde nach den Regelungen der Art. 14 ff. der RL 2003/109/EG berechtigt, bei der Entscheidung über einen Verlängerungsantrag nach § 38a Abs. 1 AufenthG, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine befristete Verlängerung vorliegen und der Ausländer insbesondere über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, anspruchsvernichtend festzustellen, dass der Ausländer die Rechtsstellung in dem ersten Mitgliedstaat mittlerweile, also nach Übersiedelung in den zweiten Mitgliedstaat, gem. Art. 9 Abs. 4 UAbs. 2 RL 2003/109/EG verloren hat? Ist maßgeblicher Zeitpunkt der Entscheidung derjenige der letzten Behörden- bzw. der letzten Gerichtsentscheidung?

3. Sollten die Fragen 1 und 2 verneint werden:

Obliegt dem langfristig Aufenthaltsberechtigten die Darlegungslast dafür, dass sein Aufenthaltsrecht als langfristig Aufenthaltsberechtigter im ersten Mitgliedstaat nicht erloschen ist?

Sollte dies verneint werden: Ist ein nationales Gericht oder eine nationale Behörde berechtigt zu prüfen, ob der dem langfristig Aufenthaltsberechtigten unbefristet erteilte Aufenthaltstitel erloschen ist oder widerspräche dies dem unionsrechtlichen Prinzip gegenseitiger Anerkennung behördlicher Entscheidungen?

4. Kann einer mit einem unbefristet erteilten Aufenthaltstitel für langfristig aufenthaltsberechtigte Personen aus Italien kommenden, nach Deutschland eingereisten Drittstaaterin, die über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, das Fehlen des Nachweises ausreichenden Wohnraums vorgehalten werden, obgleich Deutschland von der Ermächtigung des Art. 15 Abs. 4 UAbs. 2 RL 2003/109/EG keinen Gebrauch gemacht hat und die Einweisung in eine Sozialwohnung nur deshalb erforderlich wurde, weil ihr, solange sie keinen Aufenthaltstitel nach§ 38a AufenthG in den Händen hält, kein Kindergeld ausgezahlt wird? [...]

7 2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof. Die Klage der Klägerinnen kann nur Erfolg haben, wenn der Klägerin zu 1) entweder ein Anspruch auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels als langfristig Aufenthaltsberechtigte unabhängig davon zusteht, ob sie im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz noch die Rechtsstellung einer langfristig Aufenthaltsberechtigten in Italien innehat, oder wenn die Beklagte zu Unrecht den Fortbestand des in Italien erteilten Aufenthaltstitels einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung geprüft und verneint (Fragen 1 und 2) und als maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung denjenigen der letzten Tatsacheninstanz angenommen hat. Sollte der Gerichtshof die Fragen 1 und 2 verneinen ist entscheidungserheblich zu klären, ob den Klägerinnen die Darlegungslast dafür obliegt, dass die Rechtsstellung der Klägerin zu 1) in Italien nicht erloschen ist (Frage 3) und ob die nationalen Gerichte berechtigt sind, den unbefristet erteilten Aufenthaltstitel des ersten Mitgliedstaates auf seinen Bestand zu überprüfen. Schließlich ist entscheidungserheblich zu klären, ob den Klägerinnen das Fehlen des Nachweises ausreichenden Wohnraums vorgehalten werden darf, obgleich Deutschland von der Ermächtigung des Art. 15 Abs. 4 UAbs. 2 RL 2003/109/EG keinen Gebrauch gemacht hat (Frage 4). [...]