VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 26.01.2022 - 38 L 913/21 A - asyl.net: M30380
https://www.asyl.net/rsdb/m30380
Leitsatz:

Eilrechtsschutz bei Ablehnung eines Folgeantrags:

"1. Lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Folgeantrag ab (§ 71 Abs. 1 AsylG), ohne erneut eine Abschiebungsandrohung zu erlassen (§ 71 Abs. 5 S. 1 AsylG), ist Eilrechtsschutz über einen Antrag nach § 123 VwGO zu suchen.

2. Ob in einem solchen Fall die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 S. 1 AsylG gilt, kann vorliegend offen bleiben, da ohne Belehrung allenfalls eine Jahresfrist gilt (§ 36 Abs. 3 S. 3 AsylG i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO)."

(Amtliche Leitsätze; anschließend an: VGH Hessen, Beschluss vom 13.09.2018 - 3 B 1712/18.A - asyl.net: M26717)

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, vorläufiger Rechtsschutz, Rechtsmittelbelehrung, Abschiebungsandrohung, einstweilige Anordnung, Suspensiveffekt,
Normen: AsylG § 71 Abs. 1, AsylG § 71 Abs. 5 S. 1, VwGO § 123, AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, AsylG § 36 Abs. 3 S. 3, VwGO § 58 Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

12 Die Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig (Ziff. 1 des Bescheids vom 1. Dezember 2021) ist zwar mit der Anfechtungsklage anzugreifen (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – BVerwG 1 C 4.16 – BVerwGE 157, 18, Rn. 16 ff.), ist aber gleichwohl kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage, da sie gerade keinen vollziehbaren Inhalt hat (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 13. September 2018 – 3 B 1712/18.A –, NVwZ-RR 2019, 342 [342] Rn. 5f.; VG Berlin, Beschluss vom 17. September 2018 – VG 6 L 302.18 A –, juris Rn. 7; VG Minden, Beschluss vom 28. April 2021 – 1 L 741/20.A –, juris Rn. 19ff.). Soweit im  Einzelfall mittelbare Folgen im Raum stehen (z.B. die Erteilung einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG nur bei Durchführung eines – weiteren – Asylverfahrens), ändert dies nichts am fehlenden eigenen vollziehbaren Inhalt. Auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes gegen Entscheidungen im Folgeverfahren aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG (dazu Marx, in: Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 19 Rn. 742) und ein mögliches unionsrechtlich fundiertes Bleiberecht während des Folgeverfahrens aus Art. 9 Abs. 1, 2, Art. 33 Abs. 2 lit. d), Art. 40 Asylverfahrens-RL 2013/32/EU (dazu Wittmann, ZAR 2019, 45 [52f.]) bedingen keine Ausweitung des Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO, vielmehr wird ausreichend effektiver Rechtsschutz über § 123 Abs. 1 VwGO (dazu sogleich unter c]) gewährt (siehe zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen: BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2021 – 2 BvR 627/21 –, juris Rn. 20 m.w.N.; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK-AuslR, 31. Edition, Stand: 01.10.2021, § 71 AsylG Rn. 38 m.w.N.). [...]

16-18 c) Unter Würdigung seines Begehrens (§ 88 VwGO) beantragt der Antragsteller jedoch zusätzlich hilfsweise,
der Antragsgegnerin vorläufig zu untersagen, eine Mitteilung nach § 71 Abs. 5 S. 2 des Asylgesetzes an das Berliner Landesamt für Einwanderung zu richten, wonach die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, bzw. ihr aufzugeben, eine bereits gemachte Mitteilung einstweilen zu widerrufen,
hilfsweise der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Berliner Landesamt für Einwanderung mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig nicht nach Georgien abgeschoben werden darf.

19 Ein solcher Antrag ist als Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO statthaft. Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).

20 Ein so verstandener Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist zulässig. Dabei kann offenbleiben, ob § 71 Abs. 4 S. 1 AsylG als Rechtsfolgenverweisung auf § 36 Abs. 3 S. 1 AsylG zu verstehen ist (so mit überzeugenden Argumenten VG Aachen, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 8 L 307/21.A –, juris Rn. 27ff. m.w.N. auch zur Gegenansicht; a.A. Diesterhöft, in: HTK-AuslR / § 71 AsylG / Eilverfahren, Stand: 17.12.2019., Rn. 27), sodass eine Wochenfrist für die Einlegung des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO gelten würde (VG Aachen, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 8 L 307/21.A –, juris Rn. 27ff. m.w.N.; a.A. Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK-AuslR, 31. Edition, Stand: 01.10.2021, § 71 AsylG Rn. 37 m.w.N.; Marx, in: Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 19 Rn. 743). Eine solche Wochenfrist hätte der Antragsteller vorliegend nicht eingehalten, da der angefochtene Bescheid ihm spätestens am 8. Dezember 2021 zugestellt wurde, der Eilantrag indes erst am 22. Dezember 2021 bei Gericht einging. Jedoch enthielt die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung entgegen § 71 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 36 Abs. 3 S. 2 AsylG keinen Hinweis auf eine Fristgebundenheit des Eilantrags, so dass gem. § 71 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 36 Abs. 3 S. 3 AsylG (jedenfalls) die Vorschrift des § 58 VwGO entsprechend anzuwenden wäre. Daher gilt statt der Wochenfrist (allenfalls) die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO. Diese Jahres-Frist hätte der Antragsteller eingehalten. [...]