VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 19.01.2022 - A 2 K 7593/18 - asyl.net: M30393
https://www.asyl.net/rsdb/m30393
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für alleinstehende Frau aus Togo:

Einer alleinstehenden, auf medizinische Versorgung angewiesenen Frau, die nicht mit familiärer Unterstützung rechnen kann, droht angesichts der Lebensverhältnisse in Togo eine erniedrigende Behandlung gemäß Art. 3 EMRK.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Togo, psychische Erkrankung, Existenzgrundlage, Frauen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Abschiebungsverbot, Arbeitslosigkeit,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

[...]

b. Bei einer Gesamtwürdigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Togo, sowie den persönlichen Umständen der Klägerin ergibt sich nach diesen Maßstäben, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG), zugunsten der Klägerin erfüllt sind. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Klägerin in Togo eine erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Verhältnisse in Verbindung mit den bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Problemen droht und sie in Togo nicht in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten zu können. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Gesundheitszustand der Klägerin. [...]

Hinzu kommen die schlechten Lebensverhältnisse in Togo. Togo hat zwar unter dem Präsident Faure Gnassingbé in den letzten Jahren hinsichtlich der Grundversorgung Fortschritte erzielt. Im Ranking des Human Development Index befindet sich Togo jedoch auf Platz 166 von 188 Ländern und zählt daher zu den ärmsten Staaten der Welt Trotz stabiler Wachstumsraten bilden Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, das schwache Sozial- und Gesundheitssystem sowie der völlig überbelastete Bildungssektor akute Probleme. 55,1 % der Bevölkerung lebte im Jahr 2017 unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Dabei sind die Faktoren wie Armut, unzureichende Gesundheitsversorgung und geringe Bildung immer noch für zwei Drittel der Bevölkerung kennzeichnend vor allem im ländlichen Milieu (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 05.03.2019, S. 20).

Dazu kommt, dass trotz der in der Verfassung verankerten Gleichstellung von Frauen und Männern die Möglichkeiten für Frauen im Bildungs- und Arbeitsbereich eingeschränkt sind (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 05.03.2019, S.17).

Ferner ist das togoische Sozialhilfesystem unterentwickelt und steht nur denjenigen im öffentlichen Dienst und den Arbeitnehmern im formellen Sektor zur Verfügung. Der monatliche Mindestlohn wurde im Jahr 2017 zwar auf 42.000 CFA (64,03 EUR) erhöht, reicht aber kaum aus, um eine Person für einen Monat zu ernähren und gilt nur für den formellen Sektor. Dabei sind Frauen in Togo eher im informellen Arbeitssektor vertreten (vgl. Bertelsmann Stiftung, BTI 2020 Country Report Togo, S. 23). Hinzu kommt eine unzureichende medizinische Versorgung in Togo. Neben den schlechten hygienischen Verhältnissen, der unzureichenden Versorgung mit Medikamenten sowie des Mangels an entsprechendem Fachpersonal gilt generell, wer kein Geld hat, hat auch keinen Zugang zur medizinischen Versorgung. Örtliche Krankenhäuser und Ärzte verlangen oft Vorkasse. Auch viele gefälschte oder abgelaufene Medikamente, die ohne Verpackung und Packungsbeilage auf den Märkten verkauft werden, stellen ein weiteres Problem dar (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 05.03.2019, S.21 ).

Die Klägerin kann aber bei einer Rückkehr nach Togo nach Einschätzung des Gerichts nicht mit der Unterstützung durch Familienmitglieder rechnen. Die Klägerin erklärte im Asylverfahren glaubhaft, dass sie nichts mehr mit ihren Eltern, die sie in der Vergangenheit zwangsverheiraten wollten, zu tun haben wolle und eine Rückkehr zu ihnen für sie nicht in Betracht komme. [...]

Die schlechte wirtschaftliche Lage, das unterentwickelte Sozialhilfe- und Gesundheitssystem in Togo, die fehlende Unterstützung durch ein familiäres oder soziales Netzwerk, der niedrige Bildungsstand der Klägerin und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie die Erforderlichkeit der medizinischen Versorgung werden die Klägerin nach der Einschätzung des Gerichts im vorliegenden Einzelfall nicht in die Lage versetzen, in Togo ein entsprechendes Auskommen zu finden und sich insbesondere gleichzeitig mit den für sie notwendigen Medikamente zu versorgen. [...]