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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 27.01.2022 - 1 B 89.21 - asyl.net: M30406
https://www.asyl.net/rsdb/m30406
Leitsatz:

1. Die Feststellung des OVG Nordrhein-Westfalen, dass einer alleinstehenden, in Italien schutzberechtigten Frau eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK droht, beruht nicht auf einem Verfahrensmangel.

2. An die Entkräftung der Vermutung, dass gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen nicht entgegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Carta unmenschlich oder erniedrigt behandelt werden, sind gesteigerte Anforderungen zu stellen.

3. Für die Erfüllung von Grundbedürfnissen gelten bei nicht vulnerablen Personen nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. Notunterkünfte oder informelle Siedlungen genügen insofern, soweit sie zumindest zeitweilig Schutz bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen.

4. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei der Prüfung, ob ein wirtschaftliches Existenzminimum zu erwirtschaften ist, auch Arbeitsmöglichkeiten im Bereich der "Schatten- oder Nischenwirtschaft" zu berücksichtigen sind. Es ist nicht zu entscheiden, ob weiterer Klärungsbedarf hinsichtlich der Maßstäbe der Verweisung auf Arbeitsmöglichkeiten in der "Schatten- oder Nischenwirtschaft" besteht. Denn der drohende Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta/Art. 3 EMRK ergibt sich laut Berufungsgericht bereits selbständig tragend aus der in Italien drohenden Unterbringungssituation.

5. Für die Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) einer Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), mit der geltend gemacht wird, die Vorinstanz habe sich zwar in ihren Obersätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeschlossen, bei der Anwendung auf den Einzelfall aber einen anderen Rechtssatz oder Maßstab tatsächlich zugrunde gelegt (sog. verdeckte Divergenz), müssen "verdeckte" Rechtssätze in der Beschwerde so deutlich aus dem gedanklichen Zusammenhang der divergierenden Entscheidung herausgearbeitet werden, dass unzweifelhaft feststeht, welcher Rechtssatz aufgestellt bzw. zugrunde gelegt wurde.

(Leitsätze der Redaktion; Zurückweisung der Beschwerde gegen Nichtzulassung der Revision; siehe auch: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.07.2021 - 11 A 1674/20.A - asyl.net: M2987)

Schlagwörter: Italien, internationaler Schutz in EU-Staat, Unterbringung, ausländische Anerkennung, wirtschaftliche Integration, Existenzminimum, Existenzgrundlage, Revision, besonders schutzbedürftig, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Aufnahmeeinrichtung, Obdachlosigkeit, Arbeitsgelegenheit, Divergenzrüge, Grundsätzliche Bedeutung,
Normen: GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, VwGO § 133 Abs. 3 S. 3, VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO,
Auszüge:

[...]

3 1. Die Beschwerdebegründung hat nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, das Berufungsgericht habe dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz bzw. gegen die Amtsaufklärungspflicht (1.1) oder die aus dem Überzeugungsgrundsatz folgende Auseinandersetzungspflicht (1.2) verstoßen, dass es zu der Bewertung gelangt ist, im Fall ihrer Rücküberstellung nach Italien werde die Klägerin als anerkannte Schutzberechtigte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung oder zu einer anderweitigen menschenwürdigen Unterkunft erlangen, sodass ihr eine Verletzung ihrer durch Art. 4 GRC geschützten Rechte drohe. [...]

6 b) Nach diesen Grundsätzen ist ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz oder die Amtsaufklärungspflicht schon nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan.

7 [...] Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, in einigen Städten stellten zwar Nichtregierungsorganisationen oder Wohltätigkeitsorganisationen Schlafplätze zur Verfügung, die Kapazitäten seien jedoch begrenzt, und in den informellen Siedlungen böten sich unzumutbare Zustände (BA S. 7 und 9 f.), hat es diese Bewertung auf die Feststellungen in seinem Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674.20.A - (juris Rn. 38 ff. <Rn. 79 ff.>) gestützt, die auch entsprechende Erkenntnisquellen zitieren (etwa Rn. 8o und 82: BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11. November 2020, S. 23). Diese Erkenntnislage hat es dahin bewertet, dass die Klägerin in Italien keine den Anforderungen des Art. 4 GRC entsprechende Unterkunft finden werde. Die Beklagte, die gegenüber den Gerichten zumindest über gleichwertige Erkenntnismöglichkeiten zu den tatsächlichen Verhältnissen in einem Abschiebungszielstaat jedenfalls dann verfügt, wenn dieser Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, legt nicht substantiiert dar, dass sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachaufklärung zur Frage etwa der Zahl und Zugänglichkeit durch nichtstaatliche Anbieter bereitgestellter Unterkünfte hätte aufdrängen müssen (bzw. welche konkreten Aufklärungsmaßnahmen hätten ergriffen werden müssen) oder dass das Berufungsgericht erhebliche tatsächliche Informationen, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden waren, in seine Würdigung nicht einbezogen hätte.

8 1.2 Ein Verfahrensfehler ist auch insoweit nicht dargelegt, als eine unzureichende Auseinandersetzung mit Erkenntnismitteln und insbesondere der im Ergebnis entgegenstehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 -) bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung als Verletzung einer Begründungspflicht gerügt wird.

9 a) Die Feststellung und Bewertung der Erkenntnislage ist grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272>). Daher begründen (vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts regelmäßig keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Ausnahmsweise kann ein solcher indes anzunehmen sein, wenn ein Gericht von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgeht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 58 Rn. 23 m.w.N.). [...]

10 b) Der Verweis auf die im Ergebnis gegenläufigen Bewertungen in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, welche die Beklagte bereits in der Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung herangezogen hatte, reicht mit Blick auf die ausdrückliche Auseinandersetzung damit im Urteil des Berufungsgerichts vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674.20.A -, auf das der Berufungsbeschluss verweist (BA S. 6 f.), zur Darlegung eines derartigen Verfahrensfehlers hier nicht aus; hierzu wäre der Verfahrensmangel sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert zu bezeichnen gewesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 62 Rn. 12 m.w.N.). Die Beschwerdebegründung legt nicht hinreichend dar, mit welchen konkreten Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg eine weitergehende Auseinandersetzung geboten gewesen wäre. Auch die darüber hinaus erhobenen Einwände gegen die Beweiswürdigung zeigen einen Verfahrensfehler nicht auf.

11 2. Das Berufungsgericht hat die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO bestehende Auseinandersetzungspflicht (s.o. 1.2) auch nicht verletzt, soweit es dahin erkannt hat, dass die Klägerin im Fall ihrer Rücküberstellung nach Italien mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein werde, sich aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen; insoweit fehlt es bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit.

12 2.1 Im Zusammenhang mit der Beurteilung eines ernsthaften Risikos einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK ist stets von dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen, der im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht, und der von jedem Mitgliedstaat verlangt, dass dieser, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 [ECU:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 81 m.w.N. und - C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 [ECU:EU:C:2019:219], Ibrahim u.a. - Rn. 84). Damit gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die widerlegliche Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 - Rn. 82 m.w.N. und - C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 - Rn. 85). Diese Vermutung beansprucht nur dann keine Geltung, wenn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die betreffende Person im Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 - Rn: 85 und 88 m.w.N. und - C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 - Rn. 86f.). [...] Hierbei fallen nur solche Schwachstellen ins Gewicht, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteile vom 19. März 2019- C-163/17 - Rn. 91 f. m.w.N. und - C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 - Rn. 89 f. und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 [ECU:EU:C:2019:964], Hamed und Omar - Rn. 39). [...] Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden.

13 Diese Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen, hinsichtlich derer die Feststellung, sie seien vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig und befänden sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not, im Lichte des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich gesteigerten Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Vereinbarkeit der Behandlung solcher Personen in dem betreffenden Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der Charts, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere aus Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK, unterliegt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 - Rn. 93; BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 3.21 - juris Rn. 20 und 23). Der Umstand, dass die betreffende Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, genügt dem regelmäßig nicht.

14 Für die Erfüllung der vorbezeichneten Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nicht vulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (so auch VGH Mannheim, Beschluss vom 8. November 2021 - A 4 S 2850/21 - juris Rn. 10; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 3.21 - juris Rn. 22).

15 2.2 Die Revision ist indes insoweit nicht zuzulassen, weil es - ungeachtet der Frage, ob die vorbezeichneten Grundsätze beachtet worden sind - an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit fehlt.

16 a) Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Ergebnis frei von durchgreifenden Zulassungsgründen selbstständig tragend darauf gestützt, dass der Klägerin bereits mangels Zugangs zu einer menschenwürdigen Unterkunft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung ihrer durch Art. 4 GRC geschützten Rechte drohe. Der Sache nach tritt die Bewertung des Berufungsgerichts, die Klägerin werde als anerkannte Schutzberechtigte auch nicht innerhalb absehbarer Zeit einen Arbeitsplatz finden, der ihr ein ausreichendes Einkommen zur Finanzierung einer menschenwürdigen Unterkunft und des unabdingbar erforderlichen Lebensunterhalts bietet, als selbstständig tragende Erwägung hinzu. Ist eine Berufungsentscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn gegenüber jeder der Begründungen ein durchgreifender Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juni 1990 - 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 20 S. 11 f., vom 26. Juni 2014 - 1 B 5.14 - Buchholz 402.242 § 81 AufenthG Nr. 3 und vom 28. März 2019 - 1 B 7.19 - juris Rn. 14).

17 Daran fehlt es hier, weil durchgreifende Zulassungsgründe in Bezug auf das Erfordernis des Zugangs zu einer menschenwürdigen Unterkunft - wie unter 2. ausgeführt - nicht vorliegen. Die Beklagte legt auch nicht ansatzweise dar, dass die Klägerin durch eine aus ihrer Sicht zumut- und erreichbare Beschäftigung im Bereich der sogenannten Schatten-Wirtschaft ein Einkommen in einer Größenordnung erzielen könne, welche ihr die Möglichkeit der Finanzierung einer auch menschenwürdigen Unterkunft eröffnete.

18 b) Unabhängig davon liegt insoweit ein Verfahrensfehler auch deswegen nicht vor, weil die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des Vorinstanzgerichts aus zu beurteilen ist, selbst wenn dieser verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. März 2019 - 5 BN 1.18 - juris Rn. 28 und vom 16. Dezember 2020 - 3 B 45:19 - juris Rn. 12, jeweils m.w.N.).

19 Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass es sich angesichts der Bemühungen der Europäischen Union und ihres Mitgliedstaats Italien zur Bekämpfung von Schwarzarbeit von vornherein verbiete, diese dadurch zu untergraben, dass Asylsuchende auf die Möglichkeit verwiesen würden, in Italien zur Sicherung des Existenzminimums - verbotene - Schwarzarbeit aufzunehmen (vgl. insoweit differenzierter VGH Mannheim, Beschluss vom 8. November 2021 - A 4 S 2850/21 - juris Rn. 12 f.; zu der Obliegenheit, eine Verletzung des Art. 4 GRC durch alle zumutbaren Anstrengungen zur Erzielung von Erwerbseinkommen abzuwenden, s.a. BVerwG, Urteil vorn 7. September 2021- 1 C 3.21 - juris Rn. 23). Von diesem Rechtsstandpunkt aus bestand für das Berufungsgericht keine Veranlassung zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zu den Chancen auf diesem Teilsegment des Arbeitsmarkts oder zu einer weiteren Sachaufklärung in Bezug auf die Rechtspraxis bei der Verfolgung und Ahndung der Beschäftigten bei einer Tätigkeit im Bereich der (grenzwertigen oder illegalen) Schattenwirtschaft. [...]

22 2. Eine Zulassung der Revision scheidet zunächst hinsichtlich der als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage aus, "ob unter Berücksichtigung der vom EuGH [Rs. C-297/17 (Ibrahim u.a.) und Rs. C-163/17 (Jawo)] in seinen Urteilen vom 19.03.2019 aufgestellten Maßstäben anzunehmen sei, dass allen Rückkehrern nach Italien, unabhängig von einer besonderen Vulnerabilität, dort nach einer Gewährung internationalen Schutzes derartige Nachteile drohen, dass dies einen Verstoß gegen Art. 4 GRC/Art. 3 EMRK darstellen kann".

23 Die Frage betrifft die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts zu der Situation, denen Rückkehrer nach Italien ausgesetzt sind, und zielt daher auf der tatrichterlichen Würdigung vorbehaltene Tatsachenfragen. Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. [...]

24 3. Ebenso wenig ist die Revision wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, "ob Ausländern, denen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz zuerkannt wurde, es zumutbar ist, eine Erwerbstätigkeit im informellen Bereich der Schattenwirtschaft auszuüben, um einer mit Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK unvereinbaren Lage zu entgehen."

25 3.1 Die Maßstabsfrage, ob eine Tätigkeit im Bereich der "Schattenwirtschaft" auch dann (normativ) zumutbar (BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 3.21 - juris) ist, wenn sie rechtlich grenzwertig oder illegal ist, sie indes nicht effektiv oder in Bezug auf die dort Tätigen verfolgt wird und in dem Sinne "landesüblich" ist, als sie einen mehr als unwesentlichen Teil der Ökonomie dieses Staates bildet, ist im Ansatz eine klärungsfähige, der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts vorgelagerte Rechtsfrage. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass das wirtschaftliche Existenzminimum immer dann gesichert ist, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können, wobei zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten auch Tätigkeiten zählen, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" angesiedelt sind (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Januar 1998 - 9 B 1130.97 - juris Rn. 5 und VOM 17. Mai 2006 - 1 B 100.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 328 Rn. 11; vgl. in anderem Zusammenhang ferner EuGH, Urteil vom 2. Oktober 2019 - C-93/18 [ECU:EU:C:2019:809], Bajratari - Rn. 48; Seite 12 von 15 BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 - 1 C 27.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 123 Rn. 32).

26 3.2 Nicht abschließend zu entscheiden ist, ob insoweit ein weitergehender, abstrakt genereller (unionsrechtlicher) Klärungsbedarf zu den Maßstäben der Statthaftigkeit einer Verweisung auf die Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Schattenwirtschaft besteht - etwa dahin, ob danach zu differenzieren ist, in welcher Weise der Staat gegen Schwarzarbeit vorgeht, auf wen eine etwaige Strafandrohung abzielt und wie sich der tatsächliche Bedarf an ausländischen Arbeitskräften in bestimmten Sektoren der Volkswirtschaft und die tatsächliche Praxis der Strafverfolgung darstellten - und ob ein solcher Klärungsbedarf hinreichend dargelegt ist. Denn es fehlt dieser Frage die Entscheidungserheblichkeit, wenn und weil der drohende Verstoß gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK nach der nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen angegriffenen Begründung des Berufungsgerichts bereits aus der Unterbringungssituation folgt. [...]

30 2. Die Beschwerde stellt schon keinen von dem Oberverwaltungsgericht ausdrücklich aufgestellten und der Entscheidung zugrunde gelegten Rechtssatz einem solchen des Bundesverwaltungsgerichts gegenüber, der davon abweicht. Sie macht allein geltend, das Oberverwaltungsgericht habe den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (u.a. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 3.21 - juris Rn. 17) vorgegebenen Maßstab, "wann systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen [bei einer Rücküberstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union] unter Art. 4 GRC fallen, wenn sie die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen", abweichend angewandt und sich dabei weniger von den "harten" Maßstäben des Gerichtshofs der Europäischen Union, sondern "eher von dem Bild eines bürgerlichen Lebens" leiten lassen, das Flüchtlinge in Italien nur schwer erreichen könnten. Eine derartig vage Umschreibung eines (vermeintlich) abweichenden Rechtssatzes (hier in Form des für die Beurteilung der Rückkehrsituation in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugrunde zu legenden Maßstabes) lässt schon nicht erkennen, welchen abstrakten Maßstab die Vorinstanz ihrer Entscheidung zugrunde gelegt haben soll. [...]