VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 12.11.2021 - 4 K 781/20.A - asyl.net: M30493
https://www.asyl.net/rsdb/m30493
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für jungen Mann aus Venezuela:

Ein gesunder und arbeitsfähiger Mann wird in Venezuela ohne Berufsausbildung oder -erfahrung und ohne familiäre Unterstützung Probleme haben, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Auch wenn er Arbeit findet, wird der Verdienst wahrscheinlich unter dem Existenzminimum liegen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Venezuela, Abschiebungsverbot, Existenzminimum, Existenzgrundlage,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

2.1.2 Hiervon ausgehend ergibt sich unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Venezuela und seinem Heimatort, dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf Venezuela vorliegt.

Geprägt wird das Leben der Menschen in Venezuela und im Abschiebezielort von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation und Versorgungslage, außerdem von prekären humanitären Gegebenheiten sowie von einer hohen Kriminalitätsrate und einer damit einhergehenden schlechten Sicherheitslage. Nach der Erkenntnislage befindet sich Venezuela weiterhin in einer tiefen wirtschaftlichen, politischen, sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen und humanitären Krise [...].

2.1.3 Dies vorangestellt, geht das Gericht vorliegend aufgrund der konkreten Umstände des ganz außergewöhnlichen Einzelfalles davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Venezuela aufgrund der dortigen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, in der er seine existentiellen Grundbedürfnisse nicht in dem für § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK ausreichendem Maße wird befriedigen können. Die schlechten humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen begründen zwar für sich genommen im Falle eines jungen, gesunden Mannes ohne Weiteres noch kein Abschiebungsverbot nach Venezuela, jedoch vorliegend unter Berücksichtigung der individuellen gefahrerhöhenden und glaubhaften Umstände des nicht ausgebildeten und auf sich alleine gestellten sehr jungen Klägers. [...]

Zwar ist grundsätzlich anzunehmen, dass ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann in Venezuela eine Arbeitsgelegenheit wird finden können, um seine eigene Lebensgrundlage mit familiärer Unterstützung zu sichern. In dem vorliegenden außergewöhnlichen Einzelfall ist jedoch nicht davon auszugehen, dass er ohne familiäre Unterstützung das zum Leben Notwendigste für sich wird erwirtschaften können. Der gesunde und erwerbsfähige Kläger hat zwar das Abitur erworben. Er hat jedoch keine Ausbildung und keinen Beruf erlernt und verfügt nur über geringe Arbeitserfahrung im Verkauf. Der Kläger und sein Vater schilderten eindrücklich, dass der noch sehr junge Kläger immer im Haushalt der Eltern bzw. des Vaters gelebt habe und vom Vater wirtschaftlich abhängig gewesen sei. [...] Selbst wenn der Kläger eine Arbeitsgelegenheit finden sollte, ist nicht anzunehmen, dass er aufgrund der Hyperinflation davon sein Existenzminimum wird sichern können. Der Kläger verfügt nicht über familiäre Unterstützung und wäre im Falle einer Rückkehr ganz auf sich gestellt. [...]