OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.11.2021 - 6 S 34/21, 6 M 75/21 - asyl.net: M30507
https://www.asyl.net/rsdb/m30507
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Visumserteilung im gerichtlichen Eilverfahren für eine "sonstige gefährdete Person" aus Afghanistan und ihre Familie:

1. Die Antragsteller*innen  haben nicht nachgewiesen, dass es zu ihren Gunsten eine Aufnahmeerklärung gibt oder sie die Voraussetzungen für eine solche erfüllen.

2. Sie können sich nicht darauf berufen, dass in der Vergangenheit auch Personen aufgenommen wurden, die keine Ortskräfte waren, sondern aus anderen Gründen gefährdet sind. Insbesondere ist hierdurch kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, denn es stand den Behörden frei, ihre Aufnahmepraxis später zu ändern. Es kommt daher ausschließlich auf die Aufnahmepraxis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Visum, gefährdete Person, einstweilige Anordnung, Beschwerde, Gleichheitsgrundsatz,
Normen: VwGO § 123, VwGO § 146, AufenthG § 22 Abs. 1, GG Art. 3,
Auszüge:

[...]

Die Antragsteller haben auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass es zu ihren Gunsten eine Aufnahmeerklärung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat oder einer von diesem bestimmten Stelle gibt bzw. sie die Kriterien für eine Aufnahmeerklärung erfüllen (siehe dazu BA S. 5). Soweit die Antragsteller der Auffassung sind, bei dem erfolgten Aufnahmeprogramm habe es sich nicht ausschließlich um Ortskräfte gehandelt, sondern es seien auch besonders bedrohte Personen aufgenommen worden, lassen sie unberücksichtigt, dass vorliegend maßgeblich auf den Zeitpunkt der (letzten) gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist. Es kommt daher nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Antragsgegnerin in der Vergangenheit neben Ortskräften auch anderen besonders gefährdeten Personen eine Aufnahmeerklärung erteilt hat. Entgegen der Auffassung der Antragsteller kommt es auch nicht entscheidungserheblich auf sonstige öffentliche Äußerungen des Antragsgegners – wie die Pressemitteilung vom 19. August 2021 – an, aus denen sich die Aufnahme besonders gefährdeter Personengruppen aus Afghanistan, die nicht Ortskräfte sind, ergebe. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass maßgeblich die aktuelle Aufnahmepraxis der Antragsgegnerin ist, wonach derzeit Ortskräfte deutscher Behörden identifiziert werden (vgl. BA S. 6). Das sind nach dem zugrunde zu legenden Vortrag der Antragsgegnerin solche Personen, die unmittelbar in einem Arbeitsverhältnis für ein deutsches Ressort bzw. mittelbar für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bei einer Institution der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit oder mittelbar für das Auswärtige Amt bei den Kulturmittlerorganisationen Deutscher Akademischer Austauschdienst, Goethe-Institut und Deutsche Welle oder bei einer politischen Stiftung gearbeitet haben und aufgrund dieser Tätigkeit unmittelbar konkret oder latent gefährdet sind (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners vom 6. September 2021, Bl. 89 f. d.A.).

Vor diesem Hintergrund war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, den Sachverhalt hinsichtlich des aktuellen Aufnahmeprogramms durch Anforderung weiterer Unterlagen bei der Antragsgegnerin von Amts wegen aufzuklären, zumal die Antragsteller – auch im Beschwerdeverfahren – keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür aufgezeigt haben, dass der Vortrag der Antragsgegnerin zu dem derzeit praktizierten Ortkräfteverfahren unzutreffend sein könnte. Im Übrigen machen die Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft, eines der aktuellen Kriterien für eine Aufnahmeerklärung zu erfüllen. [...]

Der Vortrag der Antragsteller, das Gericht hätte aufklären müssen, wann sich die Beschlusslage hinsichtlich des Aufnahmeprogramms tatsächlich geändert habe, führt an der Argumentation des Verwaltungsgerichts vorbei, wonach es unerheblich sei, wie vielen besonders bedrohten Personen die Antragsgegnerin Einreise- oder Transitvisa erteilt habe, da es ihr freistehe, die Aufnahme weitere Ausländer für die Zukunft zu beenden (BA S. 6). Soweit die Antragsteller vortragen, dass in der Vergangenheit nicht nur Ortskräfte evakuiert worden seien, rechtfertigt dies somit keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus ihrem nicht näher konkretisierten Vortrag, das Evakuierungsprogramm laufe immer noch. [...]

Auch ist weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich, dass die Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Hierzu genügt nicht der pauschale Hinweis auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen, die nach der hier nicht den Darlegungsanforderungen genügend angegriffenen Auffassung des Verwaltungsgerichts einen anderen Sachverhalt betrifft (BA S. 6). Auch der von ihnen behauptete Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz greift nicht durch, da die Antragsteller nach der zutreffenden Annahme des Verwaltungsgerichts nicht glaubhaft gemacht haben, dass aktuell Aufnahmezusagen für Personen wie sie erteilt würden (BA S. 6). [...]