OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.02.2022 - 3 N 196/21 - asyl.net: M30509
https://www.asyl.net/rsdb/m30509
Leitsatz:

Berufung zu (Wohnungs-)Durchsuchungen bei Abschiebung zugelassen:

1. Die Rechtsfrage, wann für ein Betreten von Wohnungen zum Ergreifen einer abzuschiebenden Person ein richterlicher Beschluss für eine Durchsuchung einzuholen ist, hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

2. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, soweit das Verwaltungsgericht die Sicherstellung des Mobiltelefons, der Kopfhörer und des Portemonnaies des Klägers, der zum Zwecke der Abschiebung zum Flughafen gebracht werden sollte, als rechtmäßig erachtet, weil bei Kopfhörern eine Strangulationsgefahr bestehe, in einem Portemonnaie gefährliche Gegenstände versteckt sein könnten und Mobiltelefone dazu dienen könnten, die Flucht durch Mobilisierung Dritter zu ermöglichen.

(Leitsätze der Redaktion; Vorinstanz: VG Berlin, Urteil vom 04.10.2021 - 10 K 383.19 (Asylmagazin 1-2/2022 ff.) - asyl.net: M30091)

Schlagwörter: Abschiebung, Wohnungsdurchsuchung, Beschlagnahmung, Durchsuchung, Beschlagnahme, Freiheitsentziehung, Ingewahrsamnahme,
Normen: GG Art. 13 Abs. 1, GG Art. 13 Abs. 2, AufenthG § 58 Abs. 5 S. 1, AufenthG § 58 Abs. 6 S. 1,
Auszüge:

[...]

2   Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist begründet. Er legt jedenfalls hinreichend dar, dass das Verfahren hinsichtlich der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage, ob § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Lichte des Art. 13 GG dahingehend auszulegen ist, dass für ein Betreten von Wohnungen zum Ergreifen einer abzuschiebenden Person ein richterlicher Beschluss für eine Durchsuchung erforderlich ist, wenn die Behörde in einer ex-ante-Betrachtung von der Notwendigkeit, Suchhandlungen vorzunehmen ausgehen oder zumindest mit solchen ernstlich rechnen muss, grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat.

3   Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, soweit das Verwaltungsgericht seine Klage abgewiesen hat, ist ebenfalls begründet. Er legt mit Erfolg dar, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, die gegeben sind, wenn ein entscheidungstragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Der Zulassungsantrag stellt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Sicherstellung von Mobiltelefon, Kopfhörers und Portemonnaie des Klägers, der zum Zwecke der Abschiebung zum Flughafen gebracht werden sollte, sei nach § 38 Nr. 3 lit. a, b und d ASOG rechtmäßig gewesen, weil bei Kopfhörern eine Strangulationsgefahr bestehe, in einem Portemonnaie gefährliche Gegenstände wie Rasierklingen oder Medikamente versteckt sein könnten und Mobiltelefone dazu dienen könnten, die Flucht durch Mobilisierung Dritter zu ermöglichen, schlüssig in Frage, indem er geltend macht, es reiche nicht, wenn die abstrakte Geeignetheit der sichergestellten Sachen zur Verletzung von Rechtsgütern nur rein theoretisch bestehe, praktisch aber fernliegend sei, und im Einzelnen begründet, weshalb dies aus seiner Sicht hier der Fall sei. [...]