VG Bayreuth

Merkliste
Zitieren als:
VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 10.11.2021 - B 7 K 20.30677 - asyl.net: M30535
https://www.asyl.net/rsdb/m30535
Leitsatz:

Von den Eltern abgeleiteter Familienschutz wird auch volljährigen Kindern gewährt, wenn das Asylgesuch vor Eintritt der Volljährigkeit gestellt wurde:

"Im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 09.09.2021 (C-768.19) = BeckRS 2021, 25404 ist davon auszugehen, dass es für die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz gem. § 26 Abs. 2 AsylG ausreichend ist, wenn das Kind zum Zeitpunkt seiner materiellen Asylantragstellung i.S.d. § 13 AsylG minderjährig war (Rn. 22 – 25)."

(Amtliche Leitsätze, unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 09.09.2021 - C-768/19 SE gg. Deutschland (Asylmagazin 3/2022, S. 86 ff.) - asyl.net: M29994)

Schlagwörter: Familienschutz, minderjährig, Beurteilungszeitpunkt, Volljährigkeit, Eltern,
Normen: AsylG § 26 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

23 Mit dieser "Problematik" hat sich nunmehr auch der EuGH im Urteil vom 09.09.2021 (C - 768.19 - juris) befasst. Zwar betraf das Vorabentscheidungsverfahren primär Auslegungsfragen der Richtlinie im Rahmen des § 26 Abs. 3 AsylG, der EuGH hat aber insoweit mehr als deutlich generell zum Anknüpfungspunkt der Minderjährigkeit im Rahmen des § 26 AsylG Stellung genommen. Dabei greift der EuGH explizit den Unterschied im deutschen Recht zwischen dem formlosen Asylgesuch nach § 13 Abs. 1 AsylG und der förmlichen Stellung von Asylanträgen nach § 14 Abs. 1 AsylG auf und arbeitet heraus, dass für die Einreichung des Asylgesuchs im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylG keine bestimmte Form erforderlich sei sowie dass nach der Rechtsprechung des EuGH die "Stellung" eines Antrags auf internationalen Schutz keine Verwaltungsformalität erfordere, da solche Formalitäten erst bei der "förmlichen Stellung" des Antrags zu erfüllen seien. In Anbetracht dessen könne die Erlangung der Eigenschaft als Person, die internationalen Schutz beantragt, weder von der förmlichen Stellung des Antrags, noch von dessen Registrierung abhängig gemacht werden. Es reiche vielmehr aus, dass bei einer "anderen Behörde" die Absicht, internationalen Schutz zu beantragen, bekundet werde, um dem Ausländer die Eigenschaft als Person, die internationalen Schutz beantrage, zu verleihen. Zusammenfassend kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Frage der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Antragsteller - ggf. formlos - seinen Asylantrag eingereicht hat.

24 Diesen überzeugenden Erwägungen des EuGH schließt sich der erkennende Einzelrichter vollumfänglich an. Bei anderweitiger Sichtweise würde die "rechtzeitige Antragstellung" und damit auch der Anspruch nach § 26 Abs. 2 AsylG von Umständen abhängen, die außerhalb der Sphäre des Minderjährigen liegen (beispielsweise die verzögerte Möglichkeit der förmlichen Antragstellung nach § 14 AsylG bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamts bzw. - nach der Rechtsprechung des OVG Münster - die rechtzeitige Weiterleitung des Asylgesuchs bei einer anderen Behörde an das Bundesamt), was - wie der EuGH mehrmals betont - mit dem Konstrukt des Familien(flüchtlings) schutzes nicht vereinbar ist. [...]