OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.03.2022 - 11 A 879/21 .A - asyl.net: M30568
https://www.asyl.net/rsdb/m30568
Leitsatz:

Keine Unzulässigkeitsentscheidung wegen Anerkennung als Flüchtling in Italien:

1. In Italien besteht für dort Schutzberechtigte die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung entgegen Art. 4 GR-Charta, Art. 3 EMRK. Ihr Asylantrag kann deshalb nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden.

2. Für den alleinstehenden und gesunden Kläger besteht die ernsthafte Gefahr, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Italien über einen längeren Zeitraum obdachlos sein wird. Der Kläger wird ferner mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein, dort seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen.

3. Die vom BAMF aufgeführten Gerichtsentscheidungen führen nicht zu einer Abweichung von der im Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674.20.A - festgestellten Umständen in Italien.

(Leitsätze der Redaktion; sich anschließend an: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.07.2021 - 11 A 1674/20.A - asyl.net: M29879)

Schlagwörter: Italien, internationaler Schutz in EU-Staat, Unzulässigkeit, ausländische Anerkennung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Ausgehend hiervon kann der Asylantrag nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden, weil dem Kläger zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) für den Fall seiner Rückkehr nach Italien die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK droht. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in Italien in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und ihre elementarsten Bedürfnisse ("Bett, Brot, Seife") für einen längeren Zeitraum nicht wird befriedigen können.

1. Zunächst ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Italien auf sich selbst gestellt ist. Zur Situation in Italien für nach dorthin zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte hat der Senat in seinem rechtskräftigen Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674.20.A -, juris, Rn. 35 f., ausgeführt, dass Personen mit Schutzstatus nach ihrer Rückkehr nach Italien im Regelfall keine besondere Unterstützung erhielten.

2. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Italien in absehbarer Zeit keine menschenwürdige Unterkunft finden, sondern über einen längeren Zeitraum obdachlos sein wird. [...]

3. Der Kläger wird ferner mit hoher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Rückkehr nach Italien nicht in der Lage sein, sich aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen. [...]

4. Der Kläger wird im Falle seiner Rückkehr nach Italien auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben, mit deren Hilfe er dort das Existenzminimum sichern könnte. [...]

5. Auch die Unterstützung von Hilfsorganisationen versetzte den Kläger in Italien nicht in die Lage, dort seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Nach den Feststellungen des Senats in dem rechtskräftigen Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 142 ff., existierten in Italien lediglich wenige dauerhafte Unterstützungsstrukturen. Zudem böten die Hilfsorganisationen in erster Linie Beratung und Unterstützung an. Der Kläger könnte deshalb im Falle einer Rückkehr dorthin lediglich Unterstützungsmaßnahmen erwarten, die ihm im Notfall allenfalls als elementares Auffangnetz gegen Hunger dienen, ihm aber nicht (auch nicht für eine Übergangszeit) die für ein Überleben notwendigen Mittel zur Verfügung stellen könnten. [...]

Im Übrigen zeigt die Beklagte auch mit der (pauschalen) Inbezugnahme insbesondere verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen aus dem Zeitraum von September 2020 bis Februar 2021 keine Erkenntnisse auf, die zu einer von der des Senats abweichenden Einschätzung führten. [...]