VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 17.03.2022 - 31 K 411.19 A - asyl.net: M30598
https://www.asyl.net/rsdb/m30598
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Mutter hinsichtlich Guinea:

Einer Familie mit Kleinkindern droht in Guinea ohne familiäres Netzwerk wegen der schlechten humanitären Bedingungen eine tatsächliche Existenzgefährdung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Guinea, Abschiebungsverbot, Existenzgrundlage, Familieneinheit, minderjährig, Kinder,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Bei der Rückkehr als Familienverband, bei der lediglich ein Familienmitglied sein eigenes Existenzminimum (notdürftig} sichern könnte, nicht aber das seiner Angehörigen, steht dieses vor der Alternative, entweder unter Verletzung seiner Familienobliegenheiten zunächst vollständig seine eigene Existenz (hinreichend} zu sichern und dafür auch die tatsächliche Existenzgefährdung oder eine mit Art. 4 GRCh bzw. seiner Entsprechung in Art. 3 EMRK unvereinbare Situation der von ihm abhängigen Angehörigen in Kauf zu nehmen, oder unter dem Eindruck der in ihrer Existenz gefährdeten Familienmitglieder auf die hinreichende Sicherung der eigenen Existenz durch "Teilen" mit Familienangehörigen auch dann zu verzichten, wenn dies zu einer konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit der eigenen Person führt. Entscheidet er sich für Letzteres, schließt dies die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen im Zielstaat in seiner eigenen Person nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 - juris Rn. 27).

Das Gericht ist aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin zu ihrer familiären Situation unter Berücksichtigung der nach der allgemeinen Auskunftslage in Guinea herrschenden humanitären und sozioökonomischen Verhältnisse davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass sie ihre Existenz neben der ihrer Kernfamilie mit zwei Kleinkindern und dem Kindsvater, ihrem Freund, in Guinea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht aus eigener Kraft, d.h. mittels eigener Erwerbstätigkeit sichern kann. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihr Freund alleine oder zusammen mit der Klägerin die Existenz der Familie sichern wird können. Von einer gemeinsamen Rückkehr der Familie nach Guinea ist für die Prüfung auszugehen (vgl. im Übrigen nur BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - BVerwG C 45.18 -, juris Ls. 2 u. 3 sowie Rn. 16 ff.: Regelvermutung der Rückkehr im Familienverband bei bestehender familiärer Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet). Darüber hinaus kann zur Überzeugung des Gerichts nicht angenommen werden, dass der Lebensbedarf von Verwandten sichergestellt werden würde. [...]