VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 10.01.2022 - 6 K 1771/21.TR - asyl.net: M30640
https://www.asyl.net/rsdb/m30640
Leitsatz:

Folgeantrag nach Unzulässigkeitsablehnung wegen Anerkennung in Griechenland zulässig:

1. Aufhebung der Ablehnung des Folgeantrags nach Unzulässigkeitsablehnung des ersten Asylantrags wegen Schutzzuerkennung in Griechenland.

2. Im Vergleich zum Zeitpunkt der Ablehnung des Asylerstantrags als unzulässig wegen Schutzzuerkennung in Griechenland im Juni 2020 hat sich die Unterbringungssituation von in Griechenland anerkannt Schutzberechtigten derart verschlechtert, dass eine günstigere Entscheidung zumindest möglich erscheint. Ein hierauf gestützter Folgeantrag ist gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG zulässig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Asylfolgeantrag, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Obdachlosigkeit, Unterbringung, Unzulässigkeit,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 71 Abs. 1 S. 1, VwVfG § 51 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg, da die Voraussetzungen der § 71 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes - AsylG - i.V.m. § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - zur Durchführung eines Asylverfahrens zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 AsylG) vorliegen. Deshalb ist die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). [...]

2. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG liegen vor, da sich ausweislich neuerer Erkenntnismittel die Lebensbedingungen von in Griechenland anerkannt Schutzberechtigten in Bezug auf die Unterbringungssituation dergestalt verändert haben, dass eine für den Kläger günstigere Entscheidung jedenfalls möglich erscheint. [...]

Es war bislang - so auch bei Abschluss des Asylerstverfahrens des Klägers – davon auszugehen, dass anerkannt Schutzberechtigte trotz mangelnder staatlicher Unterbringungsmodelle jedenfalls in den kommunalen Obdachlosenunterkünften Unterkunft finden können (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Berlin vom 4. Dezember 2019, S. 4, MILo; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stade vom 6. Dezember 2018, S. 2 f., MILo), ohne dass hierfür besondere Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Neuere Erkenntnisquellen schildern jedoch, dass staatliche Unterkünfte den Zugang von der Vorlage bestimmter Unterlagen, im Einzelnen einer Steueridentifikationsnummer sowie einer steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung, abhängig machen (vgl. Stiftung Pro Asyl und RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 11; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für [nach Griechenland zurückkehrende] Personen mit internationalem Schutzstatus vom 26. August 2021, S. 19). Zwar ist im Hinblick auf diese veränderte Sachlage zu berücksichtigen, dass der Prüfungsumfang des Bundesamts und des Gerichts mit Blick auf das in § 51 VwVfG vorgesehene Antrags- und Begründungserfordernis durch die vom Kläger geltend gemachten Wiederaufnahmegründe bestimmt und zugleich begrenzt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2000 - 2 BvR 39/98 -, juris, Rn. 31; VGH BW, Urteil vom 16. März 2000 - A 14 S 2443/98, juris, Rn. 29), was es erforderlich macht, dass die einen Wiederaufnahmegrund begründenden Umstände grundsätzlich selbst vom Kläger geltend gemacht werden oder zumindest für das Gericht und die Beklagte, namentlich das Bundesamt, im jeweiligen Verfahren eindeutig und nachvollziehbar zutage treten. Allerdings ist dies im konkreten Einzelfall des Klägers ersichtlich der Fall, da das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutzantrag des Klägers dessen Vorbringen im Verwaltungsverfahren - die Aufnahme in Obdachlosenunterkünfte sei in Griechenland meist an Bedingungen geknüpft, die international Schutzberechtigte nicht erfüllen könnten - im Hinblick auf die in der Stellungnahme von Pro Asyl und RSA vom April 2021 beschriebenen Zugangserfordernisse zu Obdachlosenunterkünften ohne Weiteres konkretisieren konnte. Eine weitergehende Darlegung ist vor diesem Hintergrund seitens des Klägers weder zu erwarten noch erforderlich gewesen, zumal sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Juni 2021 mit den in der Stellungnahme von Pro Asyl vom April 2021 beschriebenen den Zugang zu Obdachlosenunterkünfte erschwerenden Voraussetzungen auseinandergesetzt hat. [...]