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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 04.05.2022 - 22 L 526/22.A - asyl.net: M30683
https://www.asyl.net/rsdb/m30683
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Rumänien:

1. Eine Abschiebungsordnung kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG erst ergehen, wenn die Übernahmebereitschaft des Zielstaats positiv geklärt ist.

2. Es spricht Überwiegendes dafür, dass Rumänien momentan aufgrund des Krieges in der Ukraine bis auf weiteres generell nicht zur (Wieder)Aufnahme Schutzsuchender im Rahmen des Dublin-Systems bereit ist.

(Leitsätze der Redaktion; beachte: Zwischenzeitlich haben rumänische Behörden erklärt, Dublin-Überstellungen schrittweise wieder akzeptieren zu wollen, siehe: Übersicht: Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf Dublin-Überstellungen, 01.06.2022, aktualisiert am 07.06.2022)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Rumänien, Abschiebungsanordnung, Ukraine-Flüchtlinge,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34a Abs. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 1918/22.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Februar 2022 wird für drei Monate angeordnet. [...]

Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall derzeit erfüllt sind. Denn unabhängig davon, ob Rumänien für die Behandlung des Asylantrages des Antragstellers nach Maßgabe der Dublin III-VO zuständig ist, steht bei summarischer Prüfung jedenfalls gegenwärtig nicht im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Überstellung des Antragstellers nach Rumänien durchgeführt werden kann. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist es Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14-, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. August 2011 -18 B 1060/11 -, juris Rn. 4 und vom 3. März 2015 und - 14 B 102/15.A -, juris; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, juris Rn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris Rn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004- 2 M 299/04 -, juris Rn. 9 ff.). [...]

Ein Duldungsgrund (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) in diesem Sinne besteht unter anderem dann, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, etwa weil die Rückübernahmebereitschaft  desjenigen Drittstaates, in den abgeschoben werden soll, (noch) nicht geklärt ist (OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015 - 14 B 101/15.A - und - 14 B 102/15.A – juris; sowie vom 10. März 2015 – 14 B 162/15.A – (nicht veröffentlicht) m.w.N.).

Da die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht etwa nur zu unterlassen ist, wenn ein solcher Duldungsgrund vorliegt, sondern erst ergehen kann, wenn der Duldungsgrund ausgeschlossen ist ("feststeht, dass sie durchgeführt werden kann"), muss die Übernahmebereitschaft positiv geklärt sein [...].

Daran fehlt es hier. Die Übernahmebereitschaft des Zielstaates Rumänien im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ist nicht positiv geklärt.

Es spricht Überwiegendes dafür, dass Rumänien momentan aufgrund des Krieges in der Ukraine bis auf weiteres generell nicht zur (Wieder)Aufnahme Schutzsuchender im Rahmen des Dublin-Systems bereit ist. [...]

Darüber hinaus bestehen derzeit nach den im Eilverfahren geltenden Maßstäben (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87 und vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413) keine Bedenken gegen die Abschiebungsanordnungen in Ziffer 3 der angefochtenen Bescheide. Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Rumänien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer dem Antragsteller drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss nach sich ziehen könnten (vgl. AIDA (Asylum Information Database), Country Report: Romania – 2020 Update – April 2021, Stand: 31. Dezember 2020, abrufbar unter: asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDARO_2020update.pdf; Country Report: Romania – 2019 Update – April 2020, Stand: 31. Dezember 2019, abrufbar unter: www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_ro_2019update.pdf; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, Gesamtaktualisierung vom 23. August 2021; Vgl. ebenso VG Trier, Beschluss vom 24. März 2022 - 7 L 810/22.TR -, juris; VG München, Urteil vom 9. Februar 2021 – M 30 K 21.50059 –, Rn. 23 m.w.N. und Beschluss vom 27. November 2020 - M 1 S 20.50531 -, juris Rn. 24 - 26; VG Leipzig, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 7 L 347/21.A -, juris;; VG Chemnitz, Beschluss vom 15. Juni 2021 – 5 L 196/21.A -, juris; VG Kassel, Urteil vom 31. Mai 2021 - 1 K 973/19.KS.A -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 26. Mai 2020 – 22 K 17460/17.A – juris Rn. 75 f.). [...]