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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 05.04.2022 - XIII ZB 18/21 - asyl.net: M30717
https://www.asyl.net/rsdb/m30717
Leitsatz:

Form der Abschiebungsandrohung nach unerlaubter Einreise oder Ausweisung:

"Ist der Ausländer unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist oder auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden, ist die Ausländerbehörde nicht verpflichtet, dem Ausländer die Abschiebungsandrohung in Form eines Standardformulars mit Erläuterungen gemäß § 77 Abs. 3 Satz 5 AufenthG zu übergeben. Sie kann auch nach § 77 Abs. 3 Satz 1 bis 3 der Vorschrift vorgehen. In diesem Fall hat die Ausländerbehörde dem Ausländer auf einen entsprechenden Antrag eine mündliche oder schriftliche Übersetzung der Abschiebungsandrohung zur Verfügung zu stellen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausweisung, Straftat, Abschiebungsandrohung, Übersetzung, Form,
Normen: AufenthG § 77 Abs. 3 S. 5, AufenthG § 77 Abs. 3 S. 1, RL 2008/115/EG Art. 12 Abs. 2, RL 2008/115/EG Art. 12 Abs. 3
Auszüge:

[...]

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht das Vorliegen einer wirksamen Abschiebungsandrohung zu Recht bejaht. Die Wirksamkeit der dem Betroffenen am 9. Juli 2018 sowie 11. Oktober 2018 in der Haft sowie anlässlich der Hauptverhandlung im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens vor dem Amtsgericht übergebenen Ordnungsverfügungen vom 4. Juli 2018 und 11. Oktober 2018 wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die beteiligte Behörde kein Standardformular gemäß § 77 Abs. 3 Satz 5 AufenthG verwendet hat. Dazu war sie nicht verpflichtet. Sie konnte vielmehr auch gemäß § 77 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG vorgehen.

aa) Gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 bis 3 AufenthG ist dem Ausländer auf Antrag eine Übersetzung der Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und der Rechtsbehelfsbelehrung kostenfrei in einer Sprache zur Verfügung zu stellen, die der Ausländer versteht oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht; die Übersetzung kann mündlich oder schriftlich zur Verfügung gestellt werden. Nach Satz 4 der Regelung muss dem Ausländer eine Übersetzung dann nicht vorgelegt werden, wenn er unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist ist oder auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist. In den Fällen des Satzes 4 erhält der Ausländer gemäß § 77 Abs. 3 Satz 5 AufenthG ein Standardformular mit Erläuterungen, die in mindestens fünf der am häufigsten verwendeten oder verstandenen Sprachen bereitgehalten werden. Diese Regelungen sind schon nach dem Wortlaut dahin auszulegen, dass die Ausländerbehörde entweder - wie auch hier - nach Absatz 3 Satz 2 und 3 der Vorschrift vorgehen kann und auf Antrag eine mündliche oder schriftliche Übersetzung zur Verfügung zu stellen hat, oder sie nach Satz 5 ein Standardformular mit Erläuterungen verwenden darf (vgl. § 77 Abs. 3 Satz 4: "muss … nicht"; Hofmann in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 77 AufenthG Rn. 31; Samel in Bergmann/Dienelt/Samel, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 77 AufenthG Rn. 4, 8; vgl. auch Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Dezember 2021, § 77 AufenthG Rn. 25 - 29).

bb) Eine andere Auslegung ist auch nicht aufgrund richtlinienkonformer Auslegung geboten. Nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) stellen die Mitgliedstaaten den betreffenden Drittstaatsangehörigen auf Wunsch eine schriftliche oder mündliche Übersetzung der wichtigsten Elemente einer Rückkehrentscheidung einschließlich von Informationen über mögliche Rechtsbehelfe in einer Sprache zur Verfügung, die die Drittstaatsangehörigen verstehen oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie sie verstehen. Nach Art. 12 Abs. 3 Rückführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Regelung nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eingereist sind. In solchen Fällen ergehen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr anhand eines nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Standardformulars. [...] Diese Regelungen sind sowohl nach dem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn und Zweck und nach den dafür maßgeblichen Grundsätzen (vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81, NJW 1983, 1257, 1258 - C.I.L.F.I.T.; vom 1. Oktober 2015 - C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 Rn. 43 mwN - Doc Generici) zweifelsfrei dahin auszulegen, dass die Ausnahmeregelung für illegal eingereiste Drittstaatsangehörige angewendet werden kann, aber nicht muss. [...]