VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 26.04.2022 - 7 A 43/18 - asyl.net: M30787
https://www.asyl.net/rsdb/m30787
Leitsatz:

Keine drohende Inhaftierung wegen Wehrdienstentziehung durch Ausreise aus dem Tschad:

1. In tschadischen Gefängnissen herrschen unmenschliche und erniedrigende Bedingungen. Dem minderjährig ausgereisten Kläger droht bei einer Rückkehr in den Tschad jedoch keine Inhaftierung wegen Wehrdienstentziehung.

2. Auch angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation in der Republik Tschad wird ein junger, gesunder Mann, der in Deutschland eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und dessen Familienangehörige im Tschad leben, in der Lage sein, ein wirtschaftliches Existenzminimum zu erlangen. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Tschad, Militärdienst, Wehrdienstentziehung, Haft, Haftbedingungen, Existenzminimum,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG. [...]

Soweit der Kläger vorgetragen hat, im Fall der Rückkehr in den Tschad seine Inhaftierung aufgrund einer Verletzung von Vorschriften des tschadischen Wehrstrafrechts durch seine Ausreise im Alter von etwa 16 Jahren zu befürchten, ist die erkennende Einzelrichterin nach den unter Beweisbeschluss vom 22.07.2021 eingeholten Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 07.01.2022 und der NRO Amnesty International vom 09.02.2022 nicht davon überzeugt, dass dem Kläger eine Inhaftierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. [...]

Die Bedingungen in den 41 tschadischen Gefängnissen sind aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, starker Überbelegung, körperlicher Misshandlung und unzureichenden sanitären Bedingungen und medizinischer Versorgung hart und potenziell lebensbedrohlich. [...]

Dass dem Kläger eine Haftstrafe unter den in tschadischen Gefängnissen herrschenden unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen droht, ist jedoch nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen. [...]

Selbst wenn, was der Kläger behauptet, in seinem Einzelfall auf Grundlage einer Verwaltungsanweisung eine Einberufung von Minderjährigen in Betracht gekommen wäre, ist es gegenwärtig unwahrscheinlich, dass der Kläger eine solche Einberufung erhalten hat und ebenso unwahrscheinlich, dass seine damit verbundene Wehrdienstentziehung durch die Ausreise im Falle einer Rückkehr in den Tschad nunmehr zu einer Inhaftierung führen wird. [...]

Nach Einschätzung der Einzelrichterin wäre der Kläger einer solchen unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt. Denn unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers ist es aufgrund seiner dort noch lebenden Familienangehörigen, zu denen er nach wie vor in regelmäßigem Kontakt steht, nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er bei einer Rückkehr in die Republik Tschad alsbald mangels der Erreichbarkeit einer existenzsichernden Lebensgrundlage in eine solche Gefahrenlage geriete. [...]

Auch angesichts dieser wirtschaftlich schwierigen Situation in der Republik Tschad geht die Einzelrichterin aber davon aus, dass es dem erst 24 Jahre alten und gesunden Kläger, der eine Berufsausbildung zum Bäcker abgeschlossen hat und in diesem Lehrberuf arbeitet, gelingen wird, auch dort seine Existenz zu sichern. [...] Insbesondere stützt sich diese Annahme auf die vom Kläger in den mündlichen Verhandlungen dargelegten Familienverhältnisse in seiner Heimat, die seine Wiederaufnahme und entsprechende Unterstützung für den Beginn erwarten lassen. [...]