BAMF

Merkliste
Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 21.12.2021 - unbekannt - asyl.net: M30801
https://www.asyl.net/rsdb/m30801
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Person aus Venezuela mit Epilepsie:

Zwar begründen die schlechten humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in Venezuela für sich genommen nicht schon ein Abschiebungsverbot, sondern es müssen individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Diese sind bei einer an Epilepsie erkrankten Person, die unter starken Anfällen leidet und einer engmaschigen ärztlichen Kontrolle bedarf, zu bejahen. Die erkrankte Person wird auch mit Unterstützung durch Familienangehörige die Mittel für ihren Lebensunterhalt sowie Medikamente und ärztliche Behandlungen nicht erwirtschaften können.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Venezuela, Abschiebungsverbot, medizinische Versorgung, Existenzgrundlage, Existenzminimum, Epilepsie,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4
Auszüge:

[...]

Die schlechten humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen begründen für sich genommen nicht stets ein Abschiebungsverbot nach Venezuela. Das Verwaltungsgericht Leipzig stellt fest, dass ein Abschiebeverbot nur dann angebracht wäre, wenn "individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, aufgrund derer die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend wären mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung" (vgl. z.B. VG Leipzig, Urt. v. 10.10.2019, Az. 4 K 267/19.A).

Aufgrund der individuellen Umstände des Antragstellers ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedoch davon auszugehen, dass sich die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung außergewöhnlich erhöht und deswegen ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist.

Der Antragsteller konnte insbesondere durch die von seinem Verfahrensbevollmächtigten eingereichten aktuellen ärztlichen Dokumente das Bundesamt davon überzeugen, dass ihm bei einer Rückkehr prognostisch die Sicherung seines Existenzminimums nicht mehr möglich sein wird und daher die Voraussetzungen nach Art. 3 EMRK im Falle des Antragstellers vorliegen. Diese Feststellung basiert insbesondere auf zwei wesentlichen Faktoren: zum einen konnte der Antragsteller darlegen, dass er selbst bei engmaschiger ärztlicher Kontrolle bei hohen medizinischen Standards in der Bundesrepublik und individuell medikamentöser Einstellung trotzdem immer wieder mit teilweise heftigen epileptischen Anfällen mitsamt kausalen Begleiterscheinungen rechnen muss. Zum anderen kommen für den Antragsteller und mögliche ihn unterstützende Familienangehörige im Herkunftsland erschwerend die wirtschaftlich und gesellschaftlich noch weiter einschränkenden Auswirkungen der Corona-Pandemie hinzu. Das Bundesamt geht in seiner Prognose konkret davon aus, dass weder der Antragsteller selbst, noch unter Zuhilfenahme seiner möglicherweise unterstützenden Familienangehörigen, in der Lage sein wird, insbesondere durch Erwerbstätigkeit so viel Einkommen zu erwirtschaften, dass er sich Unterhalt, Lebensmittelversorgung sowie Medikamente und ärztliche Behandlungen wird leisten können. Hinzu tritt der Umstand, dass sich die Gesundheitsversorgung weiter verschlechtert und nur teilweise und unbeständig gewährleistet ist, selbst wenn man diese bezahlen könnte. Geöffnete Grenzen zu Nachbarländern sind sporadischer Natur und unbeständig und dem tagesaktuell politischen Willen der Regierung in Venezuela ausgesetzt. [...]