VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 22.07.2022 - 5 K 361.17 A - asyl.net: M30827
https://www.asyl.net/rsdb/m30827
Leitsatz:

Wirksamkeit einer im Irak nach islamischen Recht geschlossene Ehe:

"Eine im Irak nach islamischem Recht geschlossene Ehe (Ehevertrag mit zwei Zeugen) ist wirksam, auch wenn sie nicht staatlich registriert wurde; diese Ehe vermittelt einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz.

Verstößt der Ehemann seine Ehefrau in Deutschland in Scheidungsabsicht ("talaq"), ohne das Familien­gericht einzuschalten, ist diese Scheidung im Inland nichtig und beseitigt den Anspruch auf Familien­flüchtlingsschutz nicht."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: religiöse Eheschließung, Irak, Familienschutz, Scheidung, Ehescheidung, Familienzusammenführung, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Wirksamkeit der Eheschließung,
Normen: AsylG § 26 Abs. 1 S. 1, AsylG § 26 Abs. 5 S. 1, GG Art. 6 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

17 Die im Irak nach islamischem Recht geschlossene Ehe ist wirksam und geeignet, dem Kläger den Familienflüchtlingsschutz zu vermitteln (1.). Die Ehe bestand im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiter, auch wenn der Kläger sich inzwischen von seiner Ehefrau getrennt und sie verstoßen hat (2.).

18 1. Eine Ehe im Sinne von § 26 Abs. 1 AsylG ist die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 9 C 61.91 - juris, Rn. 7). Für die Beurteilung der Gültigkeit der Ehe ist grundsätzlich das Recht des Herkunftslandes maßgebend (vgl. Art. 12 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GK). Die Frage, wann eine im Ausland geschlossene Ehe anerkannt wird, ist anhand der allgemeinen Vorschriften des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) zu beantworten. Eine im Ausland erfolgte Eheschließung ist nach der am Ort der Eheschließung vorgegebenen Form einschließlich der zwingenden Eheschließungsvoraussetzungen, wie sie am Ort der Eheschließung gelten (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EGBGB) bzw. nach dem Heimatrecht der Eheschließenden (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 13 Abs. 1 EGBGB) zu überprüfen (vgl. etwa Günther in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Oktober 2021, § 26 AsylG Rn. 8 m.w.N.).

19 Maßgeblich sind danach die eherechtlichen Bestimmungen im irakischen Personalstatutsgesetz von 1959, zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 1999 (PSG, mit Stand 30. November 1991 abgedruckt in Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, "Irak"; in der aktuellen Fassung im Internet veröffentlicht von der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften - MPG - unter www.familienrecht-in-nahost.de, zuletzt abgerufen am 22. Juli 2022). [...]

21 Voraussetzung für das Zustandekommen einer wirksamen Ehe nach irakischem Recht ist (nur) der Ehevertrag der Eheleute in Anwesenheit von zwei Zeugen. Die Registrierung der Ehe ist hingegen keine Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern wirkt nur deklaratorisch (vgl. den von der MPG a.a.O. veröffentlichten "Kommentar zum bundesstaatlichen Familienrecht: Die Ehe", dort Ziffer 5 "materielle Voraussetzungen der Ehe" und Ziffer 6 "formelle Voraussetzungen der Eheschließung"; ebenso VG Sigmaringen, Beschluss vom 5. Dezember 2011 - A 1 K 677.10 -, juris Rn. 3 ff. unter Berufung auf ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht vom 20. Oktober 2011; VG Oldenburg, Urteil vom 2. Januar 2018 - 3 A 4808. 16 -, juris Rn. 21 ff.; zur Bedeutung der Registrierung der Ehe im islamischen Recht allgemein auch Rohe, StAZ 2006, 93, 94 f.; Mankowski in: Staudinger, BGB, 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 664 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2022, § 26 AsylG Rn. 47 f.). [...]

31 Zwar hat sich der Kläger nach eigenen Angaben in Deutschland im Jahr 2018 von seiner Ehefrau getrennt und die Scheidung vollzogen, indem er dreimal die Scheidungsformel ("Du bist verstoßen") ausgesprochen hat. Diese Ehescheidung durch Verstoßung ("talaq") ist jedoch nicht anzuerkennen, weil sie nicht den Anforderungen des deutschen Rechts genügt.

32 Nach Art. 17 Abs. 3 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur durch ein Gericht geschieden werden. Die Scheidung wird in Deutschland auch dann durch gerichtliches Gestaltungsurteil vollzogen, wenn das Scheidungsstatut des ausländischen Staates eine Scheidung durch Rechtsgeschäft oder durch Verstoßung kennt. Sieht das ausländische Scheidungsstatut eine Scheidung durch Verstoßungserklärung vor, so muss dieser Akt im Inland entweder vor dem zuständigen deutschen Gericht vorgenommen oder dem Gericht zumindest nachgewiesen werden. Die im Inland unter Verstoß gegen Art. 17 Abs. 3 EGBGB vollzogene Privatscheidung ist nichtig und löst die Ehe daher mit Wirkung für das Inland nicht auf, auch wenn sie nach Heimatrecht anerkannt wird (vgl. Heiderhoff in BeckOK BGB, Stand 1. Mai 2022, Art. 17 EGBGB Rn. 107 ff.; Winkler von Mohrenfels in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 17 EGBGB Rn. 21 ff.; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Rn. 563 ff., jeweils m.w.N.). [...]