VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 14.07.2022 - 3 K 427.19 A - asyl.net: M30828
https://www.asyl.net/rsdb/m30828
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Kurdin aus dem Iran wegen exponierter exilpolitischer Aktivitäten:

1. Einer exponiert exilpolitisch tätigen Menschenrechtsaktivistin, die sich regelmäßig und sichtbar regimekritisch gegen die Diskriminierung von kurdischen Personen im Iran einsetzt, droht im Iran politische Verfolgung.

2. Dem Ehemann droht als politischem Mitläufer ebenso wenig Verfolgung wie den Kindern der Menschenrechtsaktivistin. Zwar ist Sippenhaft bei politisch Verfolgten im Iran nicht ausgeschlossen, gesicherte Erkenntnisse über systematische Verfolgung von Angehörigen politisch Verfolgter gibt es jedoch nicht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Kurden, Demokratische Partei Kurdistan, Sippenhaft, Exilpolitik, politische Verfolgung, DPK, Menschenrechtsaktivistin,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG,
Auszüge:

[...]

12 Die Klägerin zu 2 ist nach diesen Maßstäben zur Überzeugung des Einzelrichters (vgl. § 108 VwGO) als Menschenrechtsaktivistin exilpolitisch exponiert tätig. Sie setzt sich regelmäßig und sichtbar regimekritisch gezielt gegen die Diskriminierung von Kurden und die Verfolgung von Lastenträgern im irakisch-iranischen Grenzgebiet ein. Sie ist öffentlich sichtbar in den Organisationskreis der für die K. tätigen Personen eingebunden (...). Sie ist dort insbesondere für die Redaktion und Verbreitung von kurdisch- und persischsprachigen Nachrichten aus den kurdischen Grenzgebieten zuständig und übernimmt insoweit wöchentlich Kontrollaufgaben. [...] Zudem ist die Klägerin zu 2, wie im Zuge der Inaugenscheinnahme weiterer vorgelegter Videos deutlich geworden ist, in Deutschland in durchaus exponierter Stellung exilpolitisch aktiv, was den iranischen Behörden nicht entgangen sein dürfte. Insbesondere konnte sich der Einrichter im Verlauf der mündlichen Verhandlung mit Hilfe der vorgelegten Videoausschnitte davon überzeugen, dass die Klägerin zu 2 in der jüngeren Vergangenheit nicht bloß als untergeordnete Mitläuferin, sondern an vorderer Front ihrer regimekritischen Haltung öffentlich sichtbar Ausdruck verliehen hat, .... Aufgrund der entschieden regimefeindlichen Inhalte ihrer Kundgaben ist davon auszugehen, dass die Klägerin zu 2 im Falle ihrer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, sich Repressionen seitens der iranischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt zu sehen. [...]

14 Dass es sich dagegen bei den von Klägerseite vorgelegten Justizunterlagen, einer Vorladung und einem Haftbefehl, wirklich um Fälschungen handelt, wie das Bundesamt mutmaßt und worauf es in der Begründung des angegriffenen Bescheids entscheidend abstellt, steht hingegen nicht fest. [...]

18 a) Was die Flüchtlingseigenschaft des Klägers zu 1 betrifft, die sich nach den oben zu 1 dargelegten Maßstäben beurteilt, so ist dieser zur Überzeugung des Einrichters in Anbetracht seiner Einlassungen gegenüber dem Bundesamt und dem Gericht allenfalls als politischer Mitläufer anzusehen, ohne dass er deshalb als ernsthafter Gegner des iranischen Regimes in Betracht käme und deswegen asylrechtlich relevante Konsequenzen zu vergegenwärtigen hätte. [...]

21 b) Die Klägerinnen zu 3 und 4 haben keine eigenen Verfolgungsgründe vorgetragen. Dass sie aufgrund der exilpolitischen Aktivitäten ihrer Mutter, der Klägerin zu 2, im Falle einer Rückkehr im Iran verfolgt werden würden, ist weder dargetan noch anzunehmen. Zwar ist Sippenhaft nach den Erkenntnissen des Gerichts bei politisch Verfolgten im Iran nicht ausgeschlossen; gesicherte Erkenntnisse über systematische Verfolgung von Angehörigen politisch Verfolgter gibt es jedoch nicht, so dass insoweit von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die Klägerinnen zu 3 und 4 nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Januar 2022, S. 12). [...]