VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 22.04.2022 - 5 A 3903/19 - asyl.net: M30893
https://www.asyl.net/rsdb/m30893
Leitsatz:

Keine politische Verfolgung der Volksgruppe der Fulla (Peul) in Guinea

1. Die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Fulla (Peul) in Guinea begründet keine beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen (Rn. 30) (Rn. 31) (Rn. 33).

2. Im Grundsatz wird ein junger, arbeitsfähiger, volljähriger Mann mit Kenntnissen des Landes und einer Landessprache ohne Unterhaltslasten bei Rückkehr nach Guinea auch ohne dort vorfindliches familiäres Netzwerk voraussichtlich seine grundlegenden Bedürfnisse ("Brot, Bett, Seife") decken können und nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald wegen der humanitären Bedingungen einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein (Rn. 86).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Guinea, Fulla, Peul, Gruppenverfolgung, Abschiebungsverbot,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

[...]

29 b) Diese Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt der Kläger danach nicht wegen einer Gruppenverfolgung. Der Kläger gehört zwar der Ethnie der Fulla an. Doch begründet die Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe in Guinea keine beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen (VG Hamburg, Urt. v. 14.3.2022, 5 A 2368/18, n.v.).

30 Es entspricht der Erkenntnislage des Gerichts, dass in Guinea immer wieder interethnische Spannungen insbesondere zwischen den Fulla (Peul) und den Mandinka (Malinké) auftreten, wobei es sowohl zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den ethnischen und politischen Gruppen als auch zu (zum Teil exzessiver) Gewaltanwendung seitens der Sicherheitskräfte kommen kann (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Guinea, Stand: Januar 2021, v. 7.4.2021, 2021/1 – Lagebericht, S. 8; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Guinea v. 2.8.2021 - BFA, S. 9).

31 Anhaltspunkte dafür, dass die beschriebenen Spannungen ein flüchtlingsrechtlich relevantes Ausmaß erlangt haben könnten oder für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung der Fulla bestehen derzeit gleichwohl nicht. Das erkennende Gericht hat insoweit mit Urteil vom 19. Juli 2021 (5 A 3274/19, n.v.) ausgeführt:

32 "Die Fulla stellen mit einem Anteil von 40 % die zahlenmäßig größte Ethnie im Land dar, gefolgt von den Malinké (30 %) und den Sussu (20 %) (vgl. Lagebericht v. 7.4.2021, S. 8). Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung der Fulla bestehen nach den vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln nicht. Die Verfassung Guineas führt den Grundsatz der Gleichbehandlung auch hinsichtlich der ethnischen Zugehörigkeit mehrfach auf (Gleichstellungs- bzw. Gleichbehandlungsgebot in Art. 8); eine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis besteht nicht. Alle der drei zahlenmäßig größten Ethnien sind in Parlament, Kabinett und in hohen Verwaltungsämtern (wenn auch bezüglich der Fulla deutlich unterproportional zu ihrer Bevölkerungsstärke) vertreten und betätigen sich z. B. gemeinsam in guineischen Menschenrechtsorganisationen. Zwar traten in den letzten Jahren immer wieder interethnische Spannungen auf, vor allem da die politischen Eliten Guineas teilweise nach wie vor dazu neigen, ethnische Identität im Sinne eigener Machtinteressen zu instrumentalisieren. Politische Loyalitäten und Parteien werden noch immer auch ethnisch konstituiert wahrgenommen. So sehen sich Angehörige der Ethnie der Fulla, die mehrheitlich die Oppositionspartei UFDG wählen, politisch benachteiligt gegenüber den Malinké, die mehrheitlich für die Regierungspartei RPG stimmen. Eine systematische Diskriminierung der Fulla auf Basis ihrer ethnischen Zugehörigkeit ist damit jedoch nicht verbunden (Lagebericht v. 7.4.2021, S. 8). Vor diesem Hintergrund fehlt es selbst unter der Annahme vereinzelter Benachteiligungen jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte."

33 [...] Eine Gruppenverfolgung von Fulla findet auch nach dem Anfang September 2021 in Guinea erfolgten Militär-Putsch weiterhin nicht statt [...].

86 Im Grundsatz wird ein junger, arbeitsfähiger, volljähriger Mann mit Kenntnissen des Landes und einer Landessprache ohne Unterhaltslasten bei Rückkehr nach Guinea auch ohne dort vorfindliches familiäres Netzwerk voraussichtlich seine grundlegenden Bedürfnisse ("Brot, Bett, Seife") decken können und nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald wegen der humanitären Bedingungen einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein (diesen Grundsatz teilend VG Hamburg, Urt. v. 14.3.2022, 5 A 2368/18, n.v.; VG Kassel, Urt. v. 22.3.2022, 2 K 1720/19.KS.A, juris Rn. 61; VG Berlin, Urt. v. 11.2.2022, 31 K 88.19 A, juris Rn. 29, 35; VG Würzburg, Urt. v. 11.12.2020, W 10 K 19.32233, juris Rn. 30; VG Köln, Urt. v. 4.11.2020, 26 K 11896/17.A, juris Rn. 51 f.; VG Augsburg, Urt. v. 5.6.2020, Au 3 K 18.30428, juris Rn. 22; den Grundsatz bejahend auch VG Wiesbaden, Urt. v. 22.12.2021, 1 K 452/16.WI.A, juris, allerdings unter nicht überzeugender Annahme einer Ausnahme im Einzelfall). Diese Voraussetzungen liegen für den Anfang 2002 geborenen Kläger vor. Er ist jung, ohne Unterhaltslasten, eine erhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ist nicht durch geeignete Atteste belegt. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag bis 2016 oder 2017 in Guinea gelebt und sich danach allein auf den Weg nach einem achtmonatigen Aufenthalt in Marokko, einem kurzen Aufenthalt in Spanien und einen "paar Monate" währenden Aufenthalt in Frankreich Ende 2018 nach Deutschland begeben. In Deutschland ist er nicht als vulnerabel aufgefallen. Vielmehr hat er sich seinerseits des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gemacht und andererseits einen ersten Schulabschluss erworben.

87 Unabhängig davon und selbständig tragend ist bereits deshalb nicht zu erwarten, dass der Kläger bei Rückkehr nach Guinea alsbald einer Verelendung anheimfallen würde, weil er in seinem Herkunftsland über ein familiäres, voraussichtlich zu seiner Unterstützung fähiges und bereites Netzwerk vorfinden wird. Seine Eltern leben weiterhin in der Hauptstadt Conakry - nach seinen Angaben in Lambaje, nach Angaben der Zeugin in Cimenteri. Er hat zu ihnen nach wie vor mit ihnen Kontakt - nach Angaben ein- oder zweimal im Monat über WhatsApp mit seiner Mutter, mit seinem Vater per Telefon vielleicht einmal im Jahr. Der schriftsätzliche Vortrag, dass sein Vater ihn verstoßen habe, ist damit nicht wiederholt. Der Kläger ist nicht gehindert, zu seinen Eltern zurückzukehren. Der zur Begründung seines Asylgesuchs angebrachte Vortrag ist nicht glaubhaft (s.o. 1. b)). Es ist nicht anzunehmen, dass die Eltern des Klägers bei Rückkehr nicht zumindest vorübergehend wiederaufnehmen würden. [...]