VGH Bayern

Merkliste
Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 06.04.2022 - 15 B 22.30094 - asyl.net: M30922
https://www.asyl.net/rsdb/m30922
Leitsatz:

Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei Ablehnung der dolmetschenden Person ohne wichtigen Grund:

"Die Ablehnung des Antrags eines Asylbewerbers, der nur Angaben zu seinem Reiseweg macht und im Übrigen Ausführungen zu seinen Fluchtgründen wegen des zugezogenen Dolmetschers verweigert, kommt als offensichtlich unbegründet in Betracht, wenn für die Ablehnung des Dolmetschers kein wichtiger Grund vorliegt."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylverfahren, Anhörung, Dolmetscher, Mitwirkungspflicht, Übersetzung, Ablehnung, offensichtlich unbegründet,
Normen: AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 5, AsylG § 25 Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 32 Abs. 2, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 8
Auszüge:

[...]

14 Das Bundesamt stützt den Bescheid vom 2. Juli 2021 auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Asylbewerber seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 AsylG gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich. [...]

15 1. Die Klägerin hat ihre Mitwirkungspflicht gröblich verletzt.

16 Für einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht i.S.d. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG bedarf es einer besonders schwerwiegenden Verletzung der Obliegenheit; ein lediglich "einfacher Verstoß" genügt hierbei nicht [...]. Hier hat die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG gröblich verletzt, weil sie sich weigerte, im Rahmen der Anhörung die Tatsachen, die ihre Furcht vor Verfolgung oder Gefahr eines ihr drohenden ernsthaften Schadens begründen, unter Beteiligung des anwesenden Dolmetschers vorzutragen. [...] Vergleichbar einem unentschuldigten Fernbleiben vom Anhörungstermin ist hier aus den Gesamtumständen des Einzelfalls einer Ablehnung des Dolmetschers aus nichttragenden Gründen (s.u.) ohne weiteres ein gröblicher Verstoß gegeben und eine offensichtliche Unbegründetheit indiziert [...].

17 2. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ist mit der RL 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, 60) vereinbar.

18 Die Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet ist entsprechend Art. 32 Abs. 2, Art. 31 Abs. 8 der RL 2013/32/EU grundsätzlich möglich. [...]

19 Nach Art. 32 Abs. 2, Art. 31 Abs. 8 Buchst. a der RL 2013/32/EU kommt die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet in Betracht, wenn der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz i.S.d. RL 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. Das ist nicht nur der Fall, wenn der Antragsteller die Anhörung ganz verweigert, sondern auch, wenn er - wie hier - über die Angaben zum Reiseweg hinaus nichts Relevantes für sein eigentliches Schutzbegehren vorbringt [...].

22 3. Die Klägerin hat die gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht auch zu vertreten; ihr war die Einhaltung der Mitwirkungspflicht auch nicht aus wichtigen Gründen nicht möglich. [...]

28 Als wichtiger Grund i.S.d. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG sind alle die Willensbildung bestimmenden Umstände zu verstehen, die die Weigerung, die Mitwirkungsverpflichtung vorzunehmen, als berechtigt erscheinen lassen [...].

30 Ein wichtiger Grund für die Ablehnung - hier des Dolmetschers - ist danach, wenn beispielsweise persönliche Spannungen bestehen, der Dolmetscher persönlich involviert ist oder religiöse, ethnische oder politische Gründe bestehen [...]. Erforderlich ist, dass ein vernünftiger und individuell in der Person des Dolmetschers vorhandener Grund vorliegt, der den Asylbewerber von seinem Standpunkt aus befürchten lässt, der Dolmetscher werde nicht ausreichend unparteiisch übersetzen (vgl. Marx, AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 14). Hierzu müssen objektive Tatsachen vorliegen, die aus der Sicht eines vernünftig denkenden Menschen geeignet sind, den subjektiven Zweifel rational zu rechtfertigen [...]. Dies ist hier nicht der Fall.

31 Die Klägerin hat hier nach ihrer Anhörung zu ihren persönlichen Angaben und ihren Reisewegen die - weitere - Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Dolmetscher mit der Begründung verweigert, dass "Marokko das Problem verursacht hat, dass Leute aus der Westsahara heute in Algerien leben müssen" und ihr "Großvater während des Krieges mit Marokko ums Leben gekommen" sei; ihr Großvater sei "von Marokkanern angeschossen" worden. Dieser Vortrag stellt keine ausreichend tragfähigen Gründe dar, die Person des hier beigezogenen Dolmetschers abzulehnen. [...] Allein die Staatsangehörigkeit des Dolmetschers genügt hier nicht, zu befürchten, der Sprachmittler werde nicht ausreichend unparteiisch übersetzen. [...]