Asylfolgeverfahren für homosexuelle Person aus Algerien:
1. In Algerien kam es 2020 in bedeutendem Umfang zu gezielten Verhaftungen und Verurteilungen von Personen aufgrund ihrer öffentlich oder in sozialen Medien kommunizierten Homosexualität, sodass für eine homosexuelle Person von einer veränderten Sachlage auszugehen und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
2. § 51 Abs. 3 VwVfG, wonach ein Antrag binnen drei Monaten gestellt werden muss, nachdem die betroffene Person vom Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat, widerspricht Art. 40 AsylVerf-RL (RL 2013/32/EU) und bleibt daher unangewendet.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: EuGH, Urteil vom 09.09.2021 - C-18/20 XY gg. Österreich (Asylmagazin 12/2021, S. 434 ff.) - asyl.net: M29993; siehe auch: VG Minden, Beschluss vom 03.08.2022 - 10 L 593/22.A - asyl.net: M30969)
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Juli 2022 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Ablehnung des Folgeantrags des Klägers als unzulässig nicht vorliegen. [...]
§ 51 Abs. 3 VwVfG, wonach der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden muss, widerspricht Art. 40 der Richtlinie 2013/32/EU und bleibt daher unangewendet (vgl. EuGH, Urteil vom 09. September 2021 - C-18/20 -, juris Rn. 55).
2. In Anwendung dieses Maßstabs liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Folgeantrags des Klägers als unzulässig nicht vor. Die im Bericht des LSVD vom 2022 zusammengestellten Erkenntnisse staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen und Organisationen beinhalten sowohl eine neue wie auch erhebliche Änderung der Sachlage zur Verfolgung von Homosexuellen in Algerien.
Die im Bericht des LSVD vom 2022 zusammengestellten Erkenntnisse staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen und Organisationen haben zumindest zum Teil neue Tatsachen zur Verfolgung von Homosexuellen in Algerien zum Gegenstand. [...]
Soweit es sich bei den im Bericht des LSVD vom 2022 zusammengestellten Äußerungen staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen und Organisationen zur Verfolgung von Homosexuellen in Algerien um eine auf neuen Tatsachen beruhende Sachlage handelt, tragen diese auch erheblich zu der Wahrscheinlichkeit bei, dass der Kläger als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen sein wird. [...] Hierdurch wird nicht nur eine bereits zuvor bestehenden Verfolgungslage durch weitere Einzelfälle belegt, sondern nachgewiesen, dass es erstmals seit Jahren wieder in bedeutendem Umfang zu gezielten Verhaftungen und insbesondere auch zu Verurteilungen von Personen aufgrund ihrer öffentlich oder in sozialen Medien kommunizierten Homosexualität gekommen ist. Daher stellt sich auch in Bezug auf den Kläger die Frage nach der Gefährdungsbeurteilung neu, welche unter Einbeziehung seines gesamten bisherigen Vortrags und seiner aktuellen individuellen Lebenssituation sowie den derzeitigen Verhältnissen im Herkunftsstaat zu beantworten sein wird. [...]