Flüchtlingsanerkennung für streitbare und nach persönlicher Freiheit strebende Frau aus dem Iran:
1. Die Strafverfolgung im Iran erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oft willkürlich und selektiv. Insbesondere bei politischer Strafverfolgung kann es zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen kommen.
2. Es ist nachvollziehbar, dass das Streben der Klägerin nach weitergehenden persönlichen Freiheiten als bewusste Provokation der iranischen Behörden und als Kundgabe politischer Überzeugung aufgefasst wurde und sie aufgrund dessen vor ihrer Ausreise 2014 wegen Vorwürfen von Homosexualität und Apostasie verfolgt wurde.
(Leitsätze der Redaktion)
[…]
Die Voraussetzungen des§ 3 Abs. 1 AsylG liegen vor. [...]
Die Klägerin konnte jedenfalls in der informatorischen Anhörung im gerichtlichen Verfahren glaubhaft machen, im Iran (drohenden) Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG ausgesetzt gewesen zu sein. Damit kommt ihr die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zu Gute.
Anders als vom Bundesamt angenommen, hat das Gericht den Eindruck gewinnen können, dass die Klägerin von tatsächlich Erlebtem schilderte. Es ist davon auszugehen, dass sich die Klägerin während ihrer Zeit an der Universität als sehr streitbar erwiesen hat und auch in besonderem Maße Freiheitsrechte in Anspruch genommen hat, hierdurch aber erhebliche Probleme mit Sicherheitskräften (Bassij) und dem Sittenamt (Mafassad) bekommen hat. Somit geht das Gericht davon aus, dass die Probleme der Klägerin bis hin zum sexuellen Missbrauch durch Kräfte der Bassij aufgrund der politischen Überzeugung der Klägerin erfolgt sind, die sie auch mit ihrem angestrebten Beruf als Anwältin faktisch kundgetan hat. […]
Dass insoweit das Streben der Klägerin nach weitergehenden persönlichen Freiheiten aufgrund ihrer inneren Überzeugung insoweit als bewusste Provokation der iranischen Behörden und somit als Kundgabe ihrer politischen Überzeugung aufgefasst wurde, erscheint nachvollziehbar.
Insbesondere sieht auch das Gericht die von der Klägerin geschilderten Probleme mit den Vorwürfen iranischer Behörden ihr gegenüber (Homosexualität, Apostasie) als durchaus plausibel an, weil auch und gerade die Strafverfolgung selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv erfolgt und es insbesondere bei politischer Strafverfolgung auch zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen kommen kann (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran vom 16. Februar 2022, S. 7). Als Frau ist die Klägerin auch bei Verstößen gegen die Vorgaben im gesellschaftlichen Leben in besonderem Maße von Strafe bedroht, nachdem bei Nichtverhüllung von Haaren und Körperkonturen eine Geld- oder Freiheitsstrafe oder auch eine Bestrafung mit Peitschenhieben möglich sind, wenn auch regelmäßig von der Möglichkeit des Freikaufs Gebrauch gemacht wird (a.a.O., S. 14). […]