VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 24.01.2023 - 2 K 2991/22.A - asyl.net: M31271
https://www.asyl.net/rsdb/m31271
Leitsatz:

Aufhebung eines Dublin-Bescheids wegen fehlender Aufnahmebereitschaft Italiens:

Italien weigert sich wegen technischer Probleme und fehlender Aufnahmekapazitäten auf unbestimmte Zeit, Schutzsuchende nach der Dublin-III-Verordnung (wieder-)aufzunehmen. Eine Überstellung ist deshalb schon faktisch nicht möglich, und es bestehen systemische Mängel im italienischen Asylsystem.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Münster, Beschluss vom 02.02.2023 - 10 L 60/23.A - asyl.net: M31281; Anmerkung: Uns vorliegenden Informationen zufolge beabsichtigt Italien, ab Ende Februar wieder Überstellungen zu akzeptieren)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Italien, Überstellung, Abschiebungsanordnung, Abschiebungshindernis, Dublin III-Verordnung, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen,
Normen: AsylG § 34a Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Die italienischen Behörden lehnen seit dem 5. Dezember 2022 eine (Wieder-)Aufnahme von Schutzsuchenden nach Maßgabe der Dublin III-VO unter Berufung auf "technische Gründe" und "fehlende Aufnahmekapazitäten" - "zeitlich befristet" -, aber ohne Nennung eines konkreten Enddatums ab (vgl. Informationsschreiben des italienischen Innenministeriums vom 5. Und 7. Dezember 2022).

Mit Blick auf die Formulierung "temporary supends" (= temporäres Unterbrechen, Aussetzen) ist auch nicht von einer bloßen "vorübergehenden" Aussetzung der Aufnahmebereitschaft der Italienischen Republik auszugehen (vgl. auch: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Januar 2023 - 1a L 1642/22.A - juris; VG Arnsberg, Beschluss vom 9. Januar 2023 - 2 L 1320/22.A -, Urteile vom 19. Januar 2023 - 9 K 2602/19.A - und - 9 K 958/19.A -; anders aber: VG Göttingen, Beschluss vom 6. Januar 2023 - 1 B 170/22 -, juris).

Es handelt sich bei realitätsnaher Bewertung schlichtweg um eine diplomatisch verklausulierte Weigerung der Aufnahme von Dublin Rückkehrern auf "unbestimmte Zeit". Dies zeigt sich letztlich auch daran, dass diese Verweigerungshaltung Italiens im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seit nunmehr über 7 Wochen andauert und gar nicht absehbar ist, ob überhaupt und wenn ja, ab wann Italien gewillt ist, seinen Verpflichtungen aus der Dublin III-VO (wieder) nachzukommen.

Diese aktuelle Tatsachenlage wird bestätigt durch die Berichterstattung in der schweizerischen Presse [...], wonach Italien auf "stur" stellt und bis auf Weiteres keinen Dublin-Rückkehrer aufnimmt. [...]

Hinzu kommt, dass Italien die Aussetzung von Dublin-Überstellungen damit begründet, dass keine Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer zur Verfügung stünden (vgl. Informationsschreiben des italienischen Innenministeriums vom 5. Und 7. Dezember 2022).

Anhaltspunkte dafür, wann das Problem der "Nichtverfügbarkeit von Aufnahmeeinrichtungen" – einem essentiellen Gesichtspunkt für eine humanitäre Überstellung von Asylbewerbern im Dublin-Verfahren – gelöst sein wird, ergibt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder aus entsprechenden Erklärungen der italienischen Behörden noch aus deren Verhalten.

Damit bestehen durchgreifende und gewichtige Gründe für die Annahme, dass eine zwangsweise Abschiebung des Klägers nach Italien im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits (faktisch) nicht möglich ist, da die italienischen Behörden dessen Aufnahme verweigern werden und selbst wenn eine Einreise nach Italien durchgeführt werden könnte, wären dort im Hinblick auf den Kläger die elementarsten Bedürfnisse nach "Bett, Brot und Seife" [...] aufgrund der fehlenden Aufnahmeeinrichtungen nicht gewährleistet. [...]