BlueSky

VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 13.01.2023 - 15 K 269/21 V - asyl.net: M31359
https://www.asyl.net/rsdb/m31359
Leitsatz:

Voraussetzungen für den Ausschluss des Familiennachzugs wegen Verbreitung von Hass: 

1. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs ist gemäß § 27 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG zu versagen, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll, zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft. Der Aufruf zu Hass ist eine gesteigerte feindselige Haltung, mit dem Ziel, andere zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. 

2. Eine negative Einstellung gegenüber Christen und dem Christentum im allgemeinen ist nicht ausreichend für die Annahme von Hass im Sinne der Vorschrift. 

3. "Allgemeine Verschwörungsmythen gepaart mit Endzeitgeschwafel" verwirklichen nicht den Tatbestand des § 27 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Visum, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Salafisten, Islamisten, Volksverhetzung, Aufstachelung zum Hass, gegenwärtige Gefahr der öffentlichen Ordnung, Ausschlussgrund,
Normen: AufenthG § 27 Abs. 3a Nr. 4
Auszüge:

[...]

Nachdem die Beigeladene die Zustimmung zur Visumserteilung verweigert hatte, lehnte das Generalkonsulat die Visaanträge mit Bescheid vom 5. Mai 2021 [...] ab. Zur Begründung hieß es, der Lebensunterhalt der Kläger sei nicht gesichert; von diesem Erfordernis sei auch nicht im Ermessenswege abzusehen, weil der Ehemann keine Erwerbsbemühungen nachgewiesen habe. [...]

Rechtsgrundlage der Erteilung des Visums zum Nachzug eines Ausländers zu seinem ausländischen Ehegatten bzw. Elternteil, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1 Alt 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – ist, sind § 6 Abs. 3 S. 1, 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 und 30 Abs. 1 S. 1 bzw. § 32 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG [...].

Die einschlägigen speziellen Erteilungsvoraussetzungen für die Klägerin als Ehefrau nach § 30 Abs. 1 S. 1 AufenthG und den Kläger als minderjährigen ledigen Sohn nach § 32 Abs. 1 AufenthG sind ebenso unstreitig erfüllt, wie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG. Insbesondere ist mittlerweile auch die Lebensunterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) mit den Nettoeinkünften des Ehemanns in Höhe von monatlich durchschnittlich knapp 2500 Euro aus seiner seit Juli 2021 durchgehend ausgeübten Beschäftigung nachhaltig nachgewiesen. Auch steht ausreichender Wohnraum zur Verfügung (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). All dies ist unstreitig und bedarf deshalb keiner näheren Ausführungen.

Allein im Streit steht, ob der Erteilung der Visa vorliegend der Ausschlussgrund des § 27 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG entgegensteht. Danach ist die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu versagen, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll, zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist unter anderem – allein dies kommt vorliegend in Betracht – auszugehen, wenn er öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, entweder

a) gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,

b) Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder

c) Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt. [...]

Die Störung muss aktuell sein, das heißt einen Bezug zur Gegenwart haben. [...] Der Aufruf zu Hass – als einer über emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinaus gesteigerten feindseligen Haltung – ist durch ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel gekennzeichnet, in diesen den Entschluss zu einem bestimmten Verhalten hervorzurufen. [...]

Bei Anlegung dieses Maßstabs reichen die feststellbaren Anknüpfungstatsachen nicht für den hinlänglich verlässlichen Schluss aus, der Ehemann rufe zu Hass gegen Teile der Bevölkerung im Sinne von § 27 Abs. 3a Nr. 4 AufenthG auf. Die Beklagte bezieht sich hierzu (ausschließlich) auf einen von dem Ehemann unter einer Aliasidentität geführten Facebook-Account. Insoweit ist bereits im Ausgangspunkt problematisch, dass die dort von dem Ehemann veröffentlichten inkriminierten Posts dem Gericht – mit einer Ausnahme: hierzu später – nur in Form der inhaltlichen Wiedergabe durch die Beklagte zugänglich sind, da der Ehemann den Account zwischenzeitlich gelöscht hat. Fehlt dem Gericht damit die Möglichkeit, die fraglichen Äußerungen des Ehemanns im Wortlaut und in ihrer Darstellung einschätzen zu können, lassen aber auch die hierauf bezogenen Darlegungen der Beklagten nicht erkennen, dass der Ehemann damit die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung im Sinne tatbestandlicher Hassaufrufe überschritten hätte.

Dass der Inhalt des Accounts als ausschließlich politisch-salafistisch einzuschätzen sei und mindestens die Hälfte der dortigen Posts klar salafistisch seien, bildet dabei lediglich den bewertenden Gesamteindruck der Beklagten und kann als solcher naturgemäß nicht als belastbare Tatsachengrundlage einer gerichtlichen Überprüfung dienen. [...]

Äußerungen, wonach die Christen "Ungläubige" und Feinde des Propheten bis zum großen Kampf zwischen Muslimen und Christen seien, denen bei ihren religiösen Festen (Weihnachten) nicht geholfen werden dürfe, dokumentieren zwar eine negative Einstellung gegenüber Christen und dem Christentum im allgemeinen. Wie oben bereits ausgeführt ist als "Hass" im Sinne des gesetzlichen Tatbestandes aber eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende feindselige Haltung zu verstehen. Hierzu reicht es nicht aus, wenn der Betreffende zum Ausdruck bringt, dass er Muslime als gegenüber anderen Religionsangehörigen überlegen oder den Islam gegebenenfalls im Verständnis des Salafismus als die einzig richtige Religion ansieht [...]. Auch fehlt es zur Qualifizierung als tatbestandsmäßiger Aufruf insoweit an einem ausdrücklichen oder konkludenten Einwirken auf andere mit dem Ziel, in diesen den Entschluss zu einem bestimmten Verhalten hervorzurufen. Die Erwähnung eines apokalyptischen Kampfes zwischen den Religionen ist in ihrem in der von der Beklagten dargestellten Pauschalität als abstrakte populistische Agitation ohne konkret auffordernden Charakter einzuordnen. [...]

Schließlich ist auch dem einzigen im Wege des Screenshots authentisch erhaltenen Post des Ehemanns vom 4. Dezember 2021 nicht die Qualität des Aufrufs zu Hass gegen Teile der Bevölkerung beizumessen. Soweit der Ehemann darin über einen Krieg zwischen den Freimaurern und dem Salafismus, der als Fels den Plänen dieser Teufel bis zu deren Zerstörung entgegenstehe, schwadroniert, handelt es sich auch dabei um allgemeine Verschwörungsmythen gepaart mit Endzeitgeschwafel. Allein die Verwendung der Begrifflichkeit des Krieges verleiht diesen Phrasen – entgegen der augenscheinlichen, aber nicht näher begründeten Auffassung der Beklagten – nicht den zur Tatbestandsverwirklichung notwendigen Aufforderungscharakter. [...]

Es lässt sich bereits nicht erkennen, dass der Ehemann damit gezielt zu verhindern suchte, dass der Inhalt des Accounts einer Bewertung unterzogen werden konnte. Insoweit ist die vorgebrachte Motivation, mit diesem Schritt zu unterstreichen, sich von jeglichem radikalen Gedankengut zu distanzieren, nachvollziehbar. [...]