BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 28.03.2023 - 1 C 40.21 (Asylmagazin 10-11/2023, S. 378 f.) - asyl.net: M31400
https://www.asyl.net/rsdb/m31400
Leitsatz:

Zum Zugang von Nichtregierungsorganisationen zu Aufnahmeeinrichtungen zwecks Asylverfahrensberatung:

1. Ein generelles Zugangsrecht für NGOs zur Durchführung von Asylverfahrensberatung ohne vorherige Anfrage durch eine schutzsuchende Person lässt sich weder aus nationalem noch europäischem Recht ableiten.

2. Ein Zugang muss jedoch gewährt werden, wenn eine schutzsuchende Person zuvor eine Beratung durch diese Organisation ausdrücklich gewünscht hat.

(Leitsätze der Redaktion; Vorinstanz: VGH München, VGH 5 BV 19.2245; VG München, VG M 30 K 18.876)

Anmerkung

Schlagwörter: Aufnahmeeinrichtung, Zutritt, Beratung, Nichtregierungsorganisation, Asylverfahrensberatung, besonders schutzbedürftig,
Normen: AsylG § 12a, RL 2013/33/EU Art. 18 Abs. 2 Buchst. c, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 3, GG Art. 20 Abs. 3, RL 2013/32/EU Art. 20, RL 2013/32/EU Art. 21
Auszüge:

[...]

2. Die Vornahmeklage ist nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zugang seines Beratungspersonals und Zufahrt des Infobusses ohne vorherigen Beratungswunsch eines Asylsuchenden hat. Ein solcher Anspruch besteht weder nach nationalem Recht (2.1), noch ergibt er sich (unmittelbar) aus dem Unionsrecht (2.2). [...]

Für die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Zugangsanspruchs ist deshalb (u. a.) auf das Asylgesetz in seiner aktuellen Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2817) abzustellen. Damit ist namentlich § 12a AsylG in seiner durch dieses Gesetz geänderten Fassung in rechtlicher Hinsicht maßgeblich. Für die Sachlage ist hingegen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen. [...]

Ein Anspruch des Klägers aus § 12a AsylG scheitert auch nicht daran, dass er nach Auffassung des Berufungsgerichts kein Wohlfahrtsverband im Sinne von § 12a AsylG a. F. ist. Ob hierzu nur die Verbände zählten, die zu den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen sind (vgl. UA Rn. 52), kann dahinstehen, weil § 12a AsylG n. F. nur noch auf die Träger der Asylverfahrensberatung abstellt, die jedenfalls nicht von vornherein auf die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege beschränkt sind (siehe auch BT-Drs. 20/4327 S. 22).

Ob Träger der Asylverfahrensberatung im Sinne von § 12a AsylG nur sein kann, wer nach dieser Vorschrift vom Bund gefördert wird, was den – hier bisher nicht erbrachten – vorherigen Nachweis der Zuverlässigkeit, der ordnungsgemäßen und gewissenhaften Durchführung der Beratung sowie von Verfahren zur Qualitätssicherung und -entwicklung voraussetzt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob die Vorschrift subjektive Rechte für (potentielle) Träger der Asylverfahrensberatung auf Förderung oder Durchführung einer Asylverfahrensberatung begründet. Denn jedenfalls begründet § 12a AsylG keinen Anspruch der Beratenden auf Zugang zu den Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende zu dem Zweck, dort in einer Art "offenen Sprechstunde" die Asylverfahrensberatung Asylsuchenden anzubieten, welche jene nicht zuvor angefragt haben. Dem Wortlaut der Norm ist (wie bereits der dem Berufungsurteil zugrundeliegenden Vorläuferfassung) ein derartiger Anspruch nicht zu entnehmen; die Frage des räumlichen Zugangs zu Aufnahmeeinrichtungen wird darin ebenso wenig angesprochen wie die für die Beratung – und erst recht die Kontaktaufnahme – in Betracht kommenden Örtlichkeiten überhaupt.

Die in § 12a Abs. 1 AsylG vorgesehene "Förderung" der behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung durch den Bund impliziert nicht, dass der Bund den Zugang der Träger zu den Aufnahmeeinrichtungen ohne vorherige Mandatierung zu ermöglichen hätte. Der Begründung des Gesetzentwurfs ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass mit dem Begriff der Förderung eine finanzielle Unterstützung gemeint ist (BT-Drs. 20/4327 S. 22, 33).

Zur Frage eines Zugangs zu Aufnahmeeinrichtungen verhält sich diese Begründung (BT-Drs. 20/4327) an keiner Stelle. Auch aus der Entwurfsbegründung zu § 12a AsylG a. F. kann der Kläger im Ergebnis für den hier streitgegenständlichen Zugangsanspruch nichts herleiten. Danach sollen zwar für die Durchführung der Beratung den Wohlfahrtsverbänden grundsätzlich Räumlichkeiten und Sachmittel zur Verfügung gestellt sowie der Zugang zur Aufnahmeeinrichtung gewährleistet werden, soweit dies erforderlich ist. Dahinstehen kann, ob dies nicht ohnehin nur als ein Appell an die gemäß § 44 Abs. 1 AsylG zur Schaffung, Unterhaltung und näheren Ausgestaltung von Aufnahmeeinrichtungen für die Unterbringung Asylbegehrender verpflichteten Länder zu verstehen war. Für den hier geltend gemachten Anspruch auf Zugang zwecks Anbietens einer Asylverfahrensberatung gegenüber Asylsuchenden, die diese nicht zuvor angefragt haben, gibt diese Aussage jedenfalls nichts her. Denn die Bereitstellung von Räumlichkeiten und der Zugang zur Aufnahmeeinrichtung sollen gerade nur für die Durchführung der Beratung grundsätzlich gewährleistet werden, und auch nur, soweit dies erforderlich ist. Dies gesteht der Beklagte dem Kläger zu; er ermöglicht dessen Beratungspersonal den Zugang für die Durchführung der (zuvor angefragten) Beratung sogar unabhängig davon, ob dies im konkreten Fall erforderlich ist, und stellt hierfür auch Räumlichkeiten zur Verfügung. Die vorgelagerte Gewinnung von Interessenten wird von der Formulierung "Durchführung der Beratung" nicht zwingend mit umfasst. Etwas Weitergehendes ist einer effizienten Asylverfahrensberatung auch nicht zwangsläufig immanent. Diese kann vielmehr effektiv auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die Beratung oder zumindest die Kontaktaufnahme außerhalb der Einrichtung erfolgt, wobei die Kontaktaufnahme nebst Terminvereinbarung zudem auch telefonisch erfolgen kann. Insofern ist ein Zugang ohne vorherige Mandatierung für die Durchführung der Beratung auch nicht erforderlich.

Lässt sich § 12a AsylG nach alledem kein Anspruch der Träger der Asylverfahrensberatung auf Zugang zu Aufnahmeeinrichtungen zu dem Zweck entnehmen, dort Beratungsinteressenten zu gewinnen und diese dann zu beraten, kann auch eine Zufahrt des – als Beratungsraum dienenden – Infobusses hiernach nicht beansprucht werden.

b) Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen verfassungsrechtlich fundierten Anspruch auf den begehrten Zugang verneint.

aa) Ein solcher Anspruch ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der durch Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit. [...]