OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 31.01.2023 - 4 LB 246/19 - asyl.net: M31463
https://www.asyl.net/rsdb/m31463
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für Person mit Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) aus Ruanda:

1. Ob Menschen mit Albinismus oder Vitiligo (Weißfleckenkrankheit) in Ruanda Verfolgungshandlungen drohen, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, wie etwa der Zugehörigkeit zu einer besonders vulnerablen Gruppe oder eine vor der Ausreise aus Ruanda bereits erlittene Vorverfolgung.

2. Die Ausreise aus Ruanda und die Beantragung internationalen Schutzes im Ausland begründen allein keine Gefahr der Verfolgung. Nur wenn weitere den ruandischen Behörden bekannten Umstände wie exilpolitische Tätigkeit, Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei oder regimekritische Äußerungen hinzutreten, besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung.

3. Dem Kläger droht in Ruanda auch keine Verelendung entgegen Art. 3 EMRK, sodass kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist. Er besitzt einen Hochschulabschluss und hatte vor seiner Ausreise diesem entsprechende Stellen inne, sodass davon auszugehen ist, dass er auch bei Rückkehr auf dem Arbeitsmarkt eine Anstellung finden wird, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: OVG Niedersachsen, Urteil vom 14.03.2022 - 4 A 107/18 - asyl.net: M30679)

Schlagwörter: Ruanda, Abschiebungsverbot, Albinismus, Vitiligo, Gruppenverfolgung, Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit, Weißfleckenkrankheit, Tansania, Abschiebungsverbot, politische Verfolgung,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AufenthG § 60 Abs 5, EMRK Art. 3
Auszüge:

[...]

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG. [...]

(f.) Schließlich hat der Kläger vor seiner Ausreise in seinem Heimatland auch keine Vorverfolgung wegen der bei ihm weit vorangeschrittenen Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) erfahren. Bei seiner Anhörung im Asylverfahren hat er keinerlei Angaben gemacht, die auf eine hieran anknüpfende Verfolgung hindeuten. Er hat lediglich erwähnt, dass er sich nach seiner Ausreise aus Ruanda Mitte Juni 2016 unter anderem auch kurz in Tansania aufgehalten habe; er habe dieses Land aber bereits nach wenigen Tagen wieder verlassen, nachdem er erfahren habe, dass "Leute wie ich mit dieser Albino-Krankheit in Tansania stark diskriminiert und bedroht werden." In der mündlichen Verhandlung hat er, vom Berichterstatter gefragt nach seinen Erfahrungen in Ruanda wegen seiner Weißfleckenerkrankung, angegeben, er sei in seinem Heimatland wegen seiner Erkrankung nie angegriffen oder direkt bedroht worden. Es sei ihm nur passiert, dass Leute auf ihn gezeigt und gesagt hätten: "Das ist ein Deal." Damit hätten sie sagen wollen, dass man ein Geschäft machen und damit Geld verdienen könne, ihn zu töten oder zu verstümmeln. Der Berichterstatter hat in der mündlichen Verhandlung aber nicht den Eindruck gewonnen, dass der Kläger diese Redensweise als ernst gemeinte Bedrohung erlebt hat, zumal er noch angefügt hat, dass nach seiner Kenntnis Tötungen und Verstümmelungen von weißhäutigen Afrikanern bisher in Ruanda selbst – anders als in Nachbarländern wie Tansania – nicht vorkämen.

bb. Ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft folgt auch nicht aus nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetretenen Umständen (sog. Nachfluchtgründen). In Ruanda ist nach den maßgebenden heutigen Verhältnissen eine Gruppenverfolgung von Personen, die wegen Albinismus oder – wie der Kläger – wegen der Weißfleckenkrankheit – weißhäutig sind, nicht gegeben. [...]

(2.) Der (auch) unter diesem Gesichtspunkt nicht vorverfolgt ausgereiste Kläger ist wegen der bei ihm weit vorangeschrittenen Weißfleckenerkrankung (Vitiligo) nach den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgebenden heutigen Verhältnissen nicht von einem objektiven Nachfluchtgrund aufgrund einer Gruppenverfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG bedroht. Das Gericht hat nach umfassender Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel nicht die Überzeugung erlangt, dass ihm bei einer Rückkehr nach Ruanda seitens der Mehrheitsbevölkerung aufgrund seiner Weißhäutigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die das in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG normierte Gewicht haben.

(a.) Aus den vom Gericht sowie den Beteiligten in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt sich das folgende Bild zur Verfolgung von Personen, die aus gesundheitlichen Gründen (Albinismus, Vitiligo) weißhäutig sind.

(aa.) Menschen mit Albinismus sind weltweit Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt, wobei Berichte darüber, insbesondere über physische Übergriffe, überwiegend aus Afrika stammen [...].

Besonders gravierend scheint die Lage in Tansania zu sein. Obwohl dort die weltweit höchste Rate an Menschen mit Albinismus vorliegt, werden Betroffene überaus stark stigmatisiert, gesellschaftlich ausgeschlossen und aus Aberglauben heraus verfolgt. [...]

Hinweise auf Gewalt gegen Menschen mit Albinismus ergeben sich zudem auch aus den von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in das Berufungsverfahren eingeführten Presseberichten für die Länder Malawi, Kongo, Kenia, Uganda, Burundi, Senegal, Swasiland, Simbabwe, Mosambik und Südafrika [...].

(bb.) Konkret zur Verfolgungslage in Ruanda ergibt sich aus den Erkenntnismitteln das folgende Bild:

Nach Auskunft des US Department of State existieren in Ruanda zwar Gesetze zum Schutz von Menschen mit Behinderungen, die auch auf Personen mit Albinismus angewendet werden, aber Personen mit Albinismus erleben auch weiterhin anhaltende soziale Diskriminierung [...].

Zusammenfassend lässt sich den Erkenntnismitteln somit entnehmen, dass Menschen mit Albinismus oder Vitiligo auch in Ruanda von Diskriminierungen und Bedrohungen betroffen sein können. Allerdings gibt es für dieses Herkunftsland keine konkreten Hinweise auf Fälle von Verschleppungen und körperlichen Angriffen. Auch die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 20. Januar 2023 in das Verfahren eingeführten Presseberichte enthalten keine Angaben über derartige Vorfälle in Ruanda. Daher ist davon auszugehen, dass die Lage für die Betroffenen in Ruanda nicht so ernst ist wie in Tansania oder auch in Malawi. Außerdem sind von den Diskriminierungen nicht alle Menschen mit Albinismus oder Vitiligo in gleichem Maß betroffen, sondern in besonderem Maße Frauen [...] sowie Kinder, denen u. a. der Schulbesuch erschwert wird und die deswegen oft Analphabeten bleiben [...]. Ferner ergeben sich aus den Erkenntnismitteln keine Hinweise darauf, dass sich die Lage für Menschen mit Albinismus in Ruanda in den letzten Jahren seit der Ausreise des Klägers spürbar verschlechtert hat.

(b.) Nach alledem kann für Ruanda eine Gruppenverfolgung von Personen, die wegen Albinismus oder Vitiligo weißhäutig sind, jedenfalls nicht generell bejaht werden. Zusätzlich sind die konkreten Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen wie etwa die Zugehörigkeit zu einer besonders vulnerablen Teilgruppe oder eine vor der Ausreise aus Ruanda bereits erlittene Vorverfolgung als Indikatoren für eine persönliche Gefährdung des Asylsuchenden.

(c.) Für den Kläger kann nicht angenommen werden, dass er wegen seiner hellen Hautfarbe bei einer Rückkehr nach Ruanda mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 AsylG bedroht ist. Er gehört nicht zu den besonders vulnerablen Gruppen der Frauen und Kinder. [...]

(3.) Ein beachtlicher subjektiver Nachfluchttatbestand zugunsten des Klägers allein wegen seiner Ausreise aus Ruanda und des Stellens eines Asylantrags in Deutschland besteht ebenfalls nicht.

(a.) Der Senat hat sich im Urteil vom 14. März 2023 - 4 LB 20/19 - grundlegend mit der Frage befasst, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen für Rückkehrer nach Ruanda dort die Gefahr einer politischen Verfolgung besteht, wenn sie im europäischen Ausland einen Asylantrag gestellt haben. Auf der Grundlage eigener Beweiserhebung und nach umfassender Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass ein beachtlicher (subjektiver) Nachfluchttatbestand zugunsten eines ruandischen Staatsangehörigen allein wegen seiner Ausreise aus Ruanda, des Stellens eines Asylantrags bzw. der Beantragung internationalen Schutzes und des Aufenthalts im Ausland nach dem Ergebnis der Gesamtschau der zu Ruanda vorliegenden Erkenntnismittel nicht besteht. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. tatsächliche Gefahr (real risk) einer Verfolgung bei einer Rückkehr kann allerdings dann bestehen, wenn im Zusammenhang mit dem Asylgesuch weitere Umstände vorliegen, die den ruandischen Behörden zur Kenntnis gelangen und Anknüpfungspunkt für die Unterstellung einer regimekritischen Haltung durch staatliche Stellen Ruandas sein können. [...]

(b.) An der vom Senat im Urteil vom 14. März 2022 - 4 LB 20/19 - (a.a.O.) vertretenen Auffassung zur Verfolgungssituation von Rückkehrern nach Ruanda, die im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, hält der Berichterstatter auch nach Auswertung der Erkenntnismittel aus jüngster Zeit fest.

Die neuesten Erkenntnismittel zeigen allerdings, dass die menschenrechtliche Situation für Personen, die vom ruandischen Staat als Teil einer politischen Opposition oder Regimekritiker angesehen werden, unverändert schlecht ist. Nach wie vor wird über den exzessiven Einsatz staatlichen Zwangs, Verhaftungen aus vorgeschobenen Gründen und anschließende Verurteilungen zu langen Haftstrafen, inhumane Haftbedingungen bis hin zu Folter, verdächtige Todesfälle während der Haft, Verschleppungen und erzwungene Rückführungen aus dem Ausland, Ausspähungen, Bedrohungen, "außergerichtliche" Tötungen und das "Verschwinden" von Menschen berichtet [...].

a. Die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht. [...]

bb. Ein drohender Verstoß gegen Art. 3 EMRK bei einer Abschiebung des Klägers ergibt sich auch nicht aufgrund der sozioökonomischen und humanitären Bedingungen in Ruanda. [...]

(c.) Nach den zur humanitären und wirtschaftlichen Situation in Ruanda vorliegenden Erkenntnissen und den individuellen Umständen des Einzelfalles ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ruanda einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Verelendungsgefahr ausgesetzt wäre.

Er verfügt mit einem abgeschlossenen Bachelor-Studium im Fach ... und einem Masterabschluss in ... über einen sehr hohen Bildungsgrad. Er hat vor seiner Ausreise aus Ruanda zuletzt für vier Jahre für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen gearbeitet, nachdem er zuvor zwei Jahre lang bei der Lutheran World Federation gearbeitet hatte. Nach dem Auslaufen der befristeten Beschäftigung bei den Vereinten Nationen Ende 2015 hätte er in Ruanda eine neue Arbeitsstelle antreten können bei einer Firma, die Pulvermilch herstellt. Mit den Bedingungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt und den dort herrschenden Sitten ist er seit Langem vertraut. Es ist daher davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr wieder in der Lage wäre, Arbeit zu finden und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, wie er es bereits vor seiner Ausreise aus Ruanda getan hat. Außerdem kann er auch darauf verwiesen werden, sich um die Inanspruchnahme von Leistungen der oben genannten Programme für Rückkehrer zu bemühen. [...]