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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 11.01.2023 - 22 K 298/19.A - asyl.net: M31465
https://www.asyl.net/rsdb/m31465
Leitsatz:

Flüchtlingszuerkennung bei Reflexverfolgung wegen oppositioneller Tätigkeit des Bruders:

Familienangehörige von im Exil lebenden politisch aktiven Oppositionellen sind davon bedroht, selbst durch die aserbaidschanischen Behörden verhört, eingeschüchtert und inhaftiert zu werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aserbaidschan, Familienangehörige, Sippenhaft, Reflexverfolgung,
Normen: AsylG § 3, GG Art. 16a
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. [...]

Obschon er laut eigener Aussage selbst nicht politisch aktiv ist, besteht aus Sicht des Einzelrichters eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass es in Bezug auf den Kläger wegen der intensiven exiloppositionellen Aktivitäten seines Bruders in Aserbaidschan zu einer sog. Reflexverfolgung durch die dortigen Behörden kommen wird. Der Kläger wird in die Verfolgung seines Bruders dergestalt einbezogen, dass dessen politische Verfolgung zu seiner eigenen wird (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1985 – 9 C 35/84 –, juris, Rn. 10; siehe zur sog. Reflexverfolgung bzw. "Sippenhaft" ferner auch Nds. OVG, Urteil vom 5. April 2000 – 2 L 534/96 –, juris, Orientierungssatz 9; VG Berlin, Urteil vom 30. August 2021 – 35 K 188/19.A –, juris, Rn. 26; VG Berlin, Urteil vom 16. September 2021 – 23 K 373/20.A –, juris, Rn. 23).

Es ist zu befürchten, dass der aserbaidschanische Staat stellvertretend für den eigentlich politisch verfolgten Bruder des Klägers auf den Kläger selbst zurückgreifen wird. [...]

Aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass Familienangehörige von politisch Oppositionellen in Aserbaidschan davon bedroht sind, selbst durch die aserbaidschanischen Behörden verhört, eingeschüchtert und inhaftiert zu werden. Überdies haben aserbaidschanischen Behörden bereits in der Vergangenheit versucht, Exil-Aktivisten zum Schweigen zu bringen, indem sie ihre Angehörigen in Aserbaidschan einschüchterten. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitsbeamte Angehörige von Aktivisten mit Sitz im Ausland wiederholt verhört, um sie unter Druck zu setzen, ihre Verwandten zu denunzieren. Hierbei drohten sie den Betroffenen mit der Verhängung von Gefängnisstrafen, wenn die jeweiligen Verwandten ihren Aktivismus fortsetzen würden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Aserbaidschan vom 10. Dezember 2020, S. 19). [...]

Die vorstehenden Erkenntnisse stehen im Einklang mit dem glaubhaften Vortrag des Klägers hinsichtlich der mit dem politischen Engagement seines Bruders zusammenhängenden wiederholten massiven Drohungen, Drangsalierungen und Inhaftierungen seiner Person. [...]