VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 27.04.2023 - 5 A 5170/21 - asyl.net: M31533
https://www.asyl.net/rsdb/m31533
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz für Person aus dem Sudan:

1. Im Sudan herrscht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG, da die sudanesische Armee und die RSF sich seit dem 15. April 2023 schwere Gefechte in der Hauptstadt Khartoum und in anderen Landesteilen liefern. Bei einer Rückkehr in die Herkunftsregion Nord-Dafur wäre der Kläger einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt.

2. Der Kläger ist auch nicht gemäß § 4 Abs. 3 S. 1, § 3e Abs. 1 AsylG auf internen Schutz im Sudan zu verweisen, da es schon nicht möglich ist, sicher und legal in den Sudan zu reisen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Sudan, subsidiärer Schutz, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Darfur, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Nord-Darfur, Khartoum, RSF, sudanesische Armee
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, AsylG § 4 Abs. 3 S. 1, AsylG § 3e Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. [...]

Derzeit herrscht im Sudan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Die sudanesische Armee unter General Abdel Fattah al-Burhan und die RSF unter General Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, liefern sich seit dem 15. April 2023 schwere Gefechte in der Hauptstadt Khartoum und anderen Landesteilen (insbesondere auch in Darfur, Al Fashir/El Fasher, Al-Dschunaina/El Geneina, Al-Ubayyid/El Obeid und Bur Sudan). [...]

Die Tagesschau berichtet am 24. April 2023, dass nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Borrell bereits mehr als 1000 EU-Bürger evakuiert worden seien. Während westliche Staaten ihr diplomatisches Personal ausfliegen, versuchten Einheimische nach Angaben der Nachrichtenagentur AP, auf dem Landweg vor den anhaltenden Kämpfen zu fliehen. [...]

Die Bundesregierung teilte in ihrer Regierungspressekonferenz am 21. April 2023 mit:

"Insgesamt ist die Lage vor Ort unverändert drastisch. Die Kampfhandlungen in Khartum und in anderen Landesteilen gehen unvermindert weiter. Von einer Feuerpause ist am Boden nichts erkennbar. Die Vereinten Nationen gehen mittlerweile von über 400 Toten und über 3500 Verletzten aus. Humanitäre Organisationen können kaum mehr dringend benötigte Hilfe leisten, weil sie selbst Ziel von Angriffen werden. [...]" [...]

UN-Vermittler Volker Perthes sagte am 25. April 2023 bei der Sitzung des Sicherheitsrates: "Beide Kriegsparteien haben die Gesetze und Normen des Angriffs auf dicht besiedelte Gebiete missachtet, mit wenig Rücksicht auf Zivilisten, Krankenhäuser oder sogar Fahrzeuge, die Verwundete und Kranke transportieren." [...]

Nach alledem liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Al Fashir einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht. Insbesondere finden auch in Al Fashir (Darfur) bewaffnete Kämpfe statt (OCHA, Sudan: Clashes between SAF and RSF - Flash Update No. 5 vom 23.4.23, reliefweb.int/report/sudan/sudan-clashes-betweensaf-and-rsf-flash-update-no-5-23-april-2023-enar, Zugriff am 27.4.23).

Der Kläger ist auch nicht auf eine innerstaatliche Schutzalternative im Sudan zu verweisen. Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

Der Kläger kann nicht sicher und legal in den Sudan reisen. Der NDR berichtet, das niedersächsische Innenministerium setze sich für einen Abschiebestopp in den Sudan ein. Es gebe absolut keine Möglichkeit, dort gerade Abschiebeflüge durchzuführen, wird der Sprecher des Innenministeriums zitiert. [...]