VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 05.04.2023 - 1 K 52/21 A - asyl.net: M31611
https://www.asyl.net/rsdb/m31611
Leitsatz:

Abschiebungsverbot wegen humanitärer Lage im Jemen:

Aufgrund der extrem prekären, sich immer weiter zuspitzenden humanitären Lage im Jemen ist regelmäßig vom Bestehen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG auszugehen. Etwas anderes gilt nur, wenn im Einzelfall besondere tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Person, abweichend vom Durchschnitt der Bevölkerung, nicht von der allgemeinen prekären Lage und der Abhängigkeit von Nichtregierungsorganisationen betroffen sein würde.

(Leitsätze der Redaktion; anderer Ansicht: VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.04.23 - 9 A 106/22 - asyl.net: M31575)

Schlagwörter: Jemen, Abschiebungsverbot, humanitäre Lage, Mangelernährung, wirtschaftliche Lage, Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Arbeitslosigkeit,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4
Auszüge:

[...]

20 Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bei dem Kläger unter dem Blickwinkel der humanitären Verhältnisse im Jemen erfüllt. [...]

23 In einer Gesamtbetrachtung der geschilderten extrem prekären humanitären und wirtschaftlichen Lage sowie der individuellen Umstände des Klägers ist davon auszugehen, dass seine Abschiebung in den Jemen einen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründet. Hinsichtlich der individuellen Umstände des Klägers ist zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger über eine Schulbildung verfügt, im arbeitsfähigen Alter ist und in der Vergangenheit in der Lage war, in ... zu arbeiten, er also über Arbeitserfahrung verfügt. Jedoch kann aufgrund der prekären allgemeinen Lage im Jemen nicht darauf geschlossen werden, dass der Kläger sich (erstmals) im Jemen eine existenzsichernde Grundlage schaffen können wird. Angesichts der sich immer weiter zuspitzenden humanitären Lage im Jemen, bei welcher davon auszugehen ist, dass die grundständige Versorgung der Bevölkerung nahezu vollständig von Nichtregierungsorganisationen abhängt (s.o.), liegt es näher, dass es dem Kläger nicht möglich sein wird, eine existenzsichernde Arbeit zu finden und auszuüben. Es müssten besondere tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Kläger, abweichend vom Durchschnitt der Bevölkerung, nicht von der allgemeinen prekären Lage und der Abhängigkeit von Nichtregierungsorganisationen betroffen sein würde. Solche Anhaltspunkte sind nicht erkennbar. Die Lage des Klägers dürfte derjenigen eines durchschnittlichen Jemeniten im arbeitsfähigen Alter entsprechen. Auch bei diesem wird sich typischerweise zumindest ein Teil seiner Familie im Jemen aufhalten. [...]