Eilrechtsschutz für in Portugal anerkannte Familie:
Eine in Portugal als international Schutzberechtigte anerkannte Familie mit fünf kleinen Kindern (der Ehemann/Vater und vier Kinder sind chronisch krank bzw. behindert) würde bei Rückkehr nach Portugal in eine Situation extremer materieller Not, insbesondere der Obdachlosigkeit, geraten.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
10 Das Gericht ordnet gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise an, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzuges, dass das durch § 75 AsylG angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Abschiebungsandrohung überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller hat sich maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren. Die Interessenabwägung fällt hier zugunsten der Antragsteller aus, denn die in Ziffer 3 des Bescheides enthaltene Abschiebungsandrohung nach Portugal erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aller Voraussicht nach als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Bestimmungen der Dublin III-Verordnung dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Die Antragsteller sind in Portugal als Schutzberechtigte anerkannt. Grundsätzlich beruht das Unionsrecht auf der Prämisse, dass die Existenz gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedsstaaten zu der Vermutung führt, die Behandlung in einem anderen Mitgliedsstaat werde Asylsuchenden gleichwertigen und wirksamen Schutz gem. Art 1 und 4 der GRCH bieten. Im vorliegenden Fall spricht jedoch überwiegendes dafür, dass den Antragstellern in Portugal eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne Art. 4 GR-Charta droht. Durch Missstände im sozialen Bereich wird die Eingriffsschwelle von Art. 4 GR-Charta nur unter strengen Voraussetzungen überschritten. Neben den rechtlichen Vorgaben ist dabei auch auf den (Arbeits-) Willen und reale Arbeitsmöglichkeiten abzustellen. Zudem sind die persönlichen Entscheidungen des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, juris Rdnr. 40, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rdnr. 92; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.05.2018 - 4 LB 27/17 -, juris Rdnr. 60, m.w.N.). [...]
12 Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe steht Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU der Ablehnung der Asylanträge der Antragsteller als unzulässig entgegen. Aufgrund ihres hohen Schutzbedarfs ist im konkreten Einzelfall davon auszugehen, dass die Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Portugal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten werden und ihre elementarsten Bedürfnisse ("Bett, Brot, Seife") für einen längeren Zeitraum nicht werden befriedigen können. Den Klägern droht insbesondere die Obdachlosigkeit. [...]
17 Auch wenn Anhaltspunkte für systematische Obdachlosigkeit unter den internationalen Schutzberechtigten nicht vorliegen, gibt es gleichwohl Berichte, wonach vulnerable Personen im Jahr 2020 in zunehmendem Maße über den Mangel an geeigneten Unterkünften in Portugal geklagt haben (aida, Country Report: Portugal, 2021 update, S. 157, abrufbar unter: asylumineurope.org/reports/country/portugal/). [...]
19 Insoweit schließt sich das Gericht der Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 22.08.2022, (29 K 1634/21.A, juris) an, wonach für vulnerable Personengruppen ebenfalls in Portugal die drohende Gefahr einer Obdachlosigkeit besteht. Das Gericht kommt zu der Überzeugung, dass hier im Ausnahmefall aufgrund der Größe der Familie mit fünf Kindern, wobei das älteste Kind erst 14 Jahre alt ist, das jüngste hingegen erst 2 Jahre alt und der wohl bestehenden Erkrankungen sowohl des Antragstellers zu 1), als auch der Antragsteller zu 3) bis 7) die Gefahr besteht, dass die Antragsteller keine angemessene Wohnung auf den privaten Wohnungsmarkt erhalten und damit ihre elementarsten Bedürfnisse (Bett, Brot, Seife) nicht erfüllt werden. Die Einschränkungen des Antragstellers zu 1) durch seine Schwerhörigkeit und die sonstigen Erkrankungen sehr unwahrscheinlich, dass der Antragsteller auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann und hierdurch das Familieneinkommen für die sehr große Familie erwirtschaften kann, um damit eine angemessene Wohnung zu erhalten. Bei den Klägern zu 3) bis zu 7) handelt es sich um vulnerable Personen, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Für Minderjährige müssten im Aufnahmestaat an ihr Alter angepasste Aufnahmebedingungen gewährleistet sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders dramatisierenden Wirkungen für die Psyche entsteht (vgl. oben EGMR-Urteil vom 04.11.2014). Die Möglichkeiten der Berufstätigkeit sind nicht nur durch die Anzahl der minderjährigen Kinder, sondern auch durch die verschiedenen Erkrankungen, insbesondere die Behinderung der Antragstellerin zu 6) erschwert. Hinzu kommt, dass auch aufgrund der Sprachbarrieren eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt schwierig sein dürfte. [...]