Auch Ingewahrsamnahme per einstweiliger Anordnung erfordert grundsätzlich vorherige Anhörung:
1. Plant eine Ausländerbehörde, eine Person zum Zweck ihrer Abschiebung festzunehmen, muss sie vorher einen gerichtlichen Beschluss über die Ingewahrsamnahme erwirken. Wird ein solcher Beschluss im Wege der einstweiligen Anordnung erlassen, befreit das gemäß § 427 Abs. 2 S. 1, § 332 FamFG nicht von dem Erfordernis, die betroffene Person hierzu anzuhören.
2. Nur im Einzelfall kann das Gericht von der Anhörung absehen, wenn zu befürchten ist, dass sich die Person der Abschiebung entziehen wird. Sieht das Gericht von der Anhörung ab, ist in dem Beschluss über die vorläufige Freiheitsentziehung konkret zu begründen, auf Grund welcher konkreten tatsächlichen Umstände eine entsprechende Gefahr vorliegt. Die allgemeine Gefahr, dass eine Person, die nicht freiwillig ausgereist ist, sich auch einer Abschiebung entziehen könnte, ist dafür nicht ausreichend.
(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: BVerfG, Beschluss vom 10.02.2022 - 2 BvR 2247/19 (Asylmagazin 7-8/2022, S. 269 ff.) - asyl.net: M30479; so auch: LG Mosbach, Beschluss vom 05.03.2020 - 3 T 42/19 - asyl.net: M28189)
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Die Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung im Beschluss vom 03.07.2023 gemäß §§ 427 FamFG i.V.m. § 62b AufenthG ist nicht rechtmäßig, da das Amtsgericht Hanau dem Beschwerdeführer kein rechtliches Gehör gewährt hat.
Nach § 420 FamFG stellt die persönliche Anhörung des Betroffenen auch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG eine zwingende Voraussetzung dar, die einen herausgehobenen Stellenwert hat (vgl. Sternal/Göbel, 21. Aufl. 2023, FamFG § 427 Rn. 6).
Das Amtsgericht Hanau hat vor Erlass der Entscheidung vom 03.07.2023 den Beschwerdeführer nicht angehört. Hiervon konnte es auch nicht gemäß § 427 Abs. 2 FamFG wegen Gefahr in Verzug absehen.
§ 427 Abs. 2 S. 1 FamFG regelt in Übereinstimmung mit § 332 FamFG die einstweilige Anordnung bei gesteigerter Dringlichkeit. Der Kern der Regelung besteht darin, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung unter bestimmten Voraussetzungen bereits vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen sowie der Anhörung eines zu bestellenden Verfahrenspflegers ergehen und die Durchführung dieser Verfahrenshandlungen auf den Zeitpunkt ihrer unverzüglichen Nachholung nach Erlass der einstweiligen Anordnung verschoben wird (vgl. a.a.O. Rn. 12). In Fällen wie hier, in denen der Aufenthalt des Beschwerdeführers bekannt ist oder seine Festnahme konkret geplant wird, bedarf es einer vorherigen vorläufigen richterlichen Haftanordnung (vgl. a.a.O Rn. 14). Im Einzelfall kann das Gericht von der Anhörung absehen, wenn zu befürchten ist, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wird. Sieht das Amtsgericht bei der Entscheidung über einen sogenannten Vorabhaftantrag der Ausländerbehörde von der Anhörung des Ausländers ab, ist in dem Beschluss über die vorläufige Freiheitsentziehung konkret zu begründen, auf Grund welcher konkreten tatsächlichen Umstände eine dann erforderliche Gefahr im Verzug vorliegt (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 18.11.2008 - 1 W 275/08, FGPrax 2009, 86, beck-online). Die allgemeine Gefahr, dass sich der Betroffene der Maßnahme entziehen könnte, reicht hierfür nicht (vgl. LG Mosbach, Beschluss vom 05.03.2020 - 3 T 42/19, BeckRS 2020, 8295, beck-online ). Das Recht der Behörde zu einer haftvorbereitenden Ingewahrsamnahme setzt danach den begründeten, also durch konkrete Anhaltspunkte gestützten Verdacht voraus, dass sich der Betroffene der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will (vgl. Sternal/Göbel, 21. Aufl. 2023, FamFG § 427 Rn. 15). Für eine einstweilige Anordnung, die demselben Zweck dient zu gewährleisten, dass der Betroffene für das weitere Verfahren zur Verfügung steht, in dem die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung nach persönlicher Anhörung erst noch näher festgestellt werden müssen, können keine geringeren Anforderungen gelten (vgl. Schlesw.-Holst. OLG, Beschluss vom 3.4.2008 - 2 W 54/08, FGPrax 2008, 229, beck-online).
Hierzu hat das Amtsgericht lediglich ausgeführt, dass ein dringendes Bedürfnis zum sofortigen Tätigwerden bestehe, da zu befürchten sei, dass der Betroffene ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht freiwillig zu einem vom Gericht bestimmten Termin zur Entscheidung über eine mögliche Haftanordnung erscheinen werde. Er sei seit über vier Monaten ausreisepflichtig und dieser Pflicht nicht nachgekommen. Zudem habe er angegeben, nicht freiwillig auszureisen.
Damit sind aber keine konkreten Umstände des Einzelfalles benannt, die im vorliegenden Fall den Verdacht begründet hätten, dass sich der Beschwerdeführer der Anordnung des Ausreisegewahrsams entziehen will. Vielmehr wird damit lediglich die allgemeine Gefahr beschrieben, die in allen derartigen Fällen besteht, wenn ein Ausländer zu einer persönlichen Anhörung über einen Haftantrag zur Vorbereitung der Abschiebung vorgeladen wird. Im vorliegenden Fall ist lediglich der Regelfall beschrieben, dass ein Ausländer trotz bestehender Ausreisepflicht nicht freiwillig das Bundesgebiet verlässt. Dies ist aber ein Umstand, der in jedem Fall einer Abschiebung vorliegt und daher die Annahme der Gefahr im Verzug im Sinne von § 427 Abs. 2 FamFG nicht rechtfertigen könnte (vgl. entsprechend LG Mosbach, Beschluss vom 05.03.2020 - 3 T 42/19, BeckRS 2020, 8295, beck-online). [...]