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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 12.09.2023 - XIII ZB 68/20 - asyl.net: M31909
https://www.asyl.net/rsdb/m31909
Leitsatz:

Teilweise Rechtswidrigkeit der Haft wegen unzureichender Ausführungen zur notwendigen Haftdauer: 

1. Ein Haftantrag ist unzulässig und Haft damit rechtswidrig, wenn keine ausreichenden Ausführungen zur notwendigen Haftdauer gemacht werden. Das ist, wie hier, der Fall, wenn lediglich angegeben wird, dass die betroffene Person für einen bestimmten Sammelcharter angemeldet wurde, ohne auszuführen, weshalb eine frühere Abschiebung nicht möglich und warum die Abschiebung per Sammelcharter notwendig sein soll. 

2. Gemäß § 426 Abs. 2 FamFG ist die Haftanordnung nicht wegen Defiziten des Haftantrags oder Fehlern bei der Haftanordnung aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft dann nicht mehr zu beanstanden ist. Eine solche Heilung wirkt aber nur für die Zukunft, sodass die Haft bis zum Nachholen notwendiger Angaben rechtswidrig bleibt. 

3. Die Entscheidung der Behörde, dass eine Sicherheitsbegleitung bei einer Abschiebung erforderlich ist, ist vom Haftgericht nicht zu überprüfen. 

4. Ob eine Person gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG nach ihrer erlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, richtet sich nach der aufenthaltsrechtlichen Rechtslage und nicht der tatsächlichen Situation. Wenn eine Person, wie hier, mit einem Schengenvisum eingereist ist und nie eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, gilt sie als vollziehbar ausreisepflichtig, auch wenn sie ohne das Wissen der Ausländerbehörde zwischenzeitlich aus- und wieder eingereist ist. 

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: BGH, Beschluss vom 19.05.2020 - XIII ZB 86/19 - asyl.net: M28620)

Schlagwörter: Haftdauer, Ausreisepflicht, Sammelabschiebung, Sicherheitsbegleitung, begleitete Abschiebung, Flugtermin, Haftgründe, Fluchtgefahr, Abschiebungshaft,
Normen: FamFG § 426 Abs. 2, AufenthG § 62 Abs. 2b Nr. 7,
Auszüge:

[...]

6 a) Die Haft war im Zeitraum vom 21. Juli bis zum 11. August 2020 rechtswidrig, weil es bis dahin an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

7 aa) Einwände gegen die Zulässigkeit des Haftantrags sind auch im Haftaufhebungsverfahren nach § 426 Abs. 2 FamFG zu prüfen. [...] Die Haftanordnung ist wegen Defiziten des Haftantrags, Verfahrensfehlern bei der Anordnung der Haft oder Fehlern der Haftanordnung aber im Haftaufhebungsverfahren nicht nach § 426 FamFG aufzuheben, wenn die fehlenden Angaben und Feststellungen im Aufhebungsverfahren nachgeholt werden und die Haft auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden ist; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 FamFG bedarf es in diesem Fall grundsätzlich nicht [...]. Eine solche Heilung wirkt aber - anders als das Beschwerdegericht angenommen hat - nur für die Zukunft und tritt, wenn die Behörde - wie hier - die Defizite des Antrags mit eigenen ergänzenden Angaben behebt, mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht ein [...].

8 Aufgrund des Umstandes, dass ein Mangel nur für die Zukunft behoben werden kann, kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft im Haftaufhebungsverfahren erst von dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht beantragt werden; der Antrag ist nur zulässig, wenn er - wie hier - vor Eintritt der Rechtskraft der Haftanordnung bei dem Amtsgericht eingegangen ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 23).

9 bb) Danach war die Haft vom 20. Juli bis zum 11. August 2020 rechtswidrig. Der ursprüngliche Haftantrag war, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, unzulässig. Die beteiligte Behörde hatte im Hinblick auf die beantragte Haftdauer angegeben, den Betroffenen für eine Sammelabschiebung am 17. August 2020 angemeldet zu haben, ohne mit der für die Rückführung zuständigen Stelle Rücksprache gehalten zu haben. Aus diesem Grund konnte sie selbst nicht wissen, ob eine frühere Rückführung möglich war und es sich bei der beantragten Dauer der Haft um den kürzestmöglichen Haftzeitraum handelte. Im Übrigen enthielt der Antrag keine weiteren Angaben dazu, weshalb nur eine Rückführung mit einem Sammel-Charter in Betracht kam. Diesen Mangel hat die Behörde durch ihre Ausführungen im Schreiben vom 11. August 2920 ergänzt und angeben, dass für den Betroffenen als Straftäter eine Sicherheitsbegleitung erforderlich sei, die Bundespolizei derzeit keine begleiteten Einzelrückführungen durchführe und das Land daher Sammelcharter-Maßnahmen organisiere, die medizinisch und polizeilich begleitet würden. Die nächstmögliche Sammelrückführung im Zeitpunkt der Antragstellung sei für den 17. August 2020 geplant gewesen, dieser Termin sei auf den 12. August 2020 vorverlegt worden. Dieses Schreiben war bei Gericht am 11. August 2020 per Fax eingegangen.

10 b) Im übrigen, mithin am 12. August 2020, war die Haft rechtmäßig.

11 aa) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht erkennbar. Die Entscheidung, ob eine Sicherheitsbegleitung erforderlich ist, haben die Haftgerichte, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 85/19, juris Rn. 28). [...]

12 bb) Es lag auch ein Haftgrund vor. Nach § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG besteht ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr, wenn der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, dem behördlichen Zugriff entzogen ist, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält. Diese Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler bejaht.

13 (1) Der Betroffene war, wie sich aus der bestandskräftigen Ordnungsverfügung der beteiligten Behörde vom 5. Juli 2020 ergibt, am ... 2018 erlaubt in den Schengenraum und weiter in das Bundesgebiet eingereist, seit dem ... 2020 ohne Aufenthaltsrecht, hat zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel beantragt und war damit vollziehbar ausreisepflichtig. Diese aufenthaltsrechtlichen Feststellungen der beteiligten Behörden waren, da keine Anhaltspunkt für eine evidente Rechtswidrigkeit geltend gemacht oder ersichtlich sind, für das Haftgericht bindend (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2020 - XIII ZB 20/19, NVwZ 2021, 342 Rn. 8, m.w.N.). Das gilt auch insoweit, als der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG auf die aufenthaltsrechtliche Rechtslage Bezug nimmt. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Betroffene vorgetragen, regelmäßig den Schengenraum verlassen zu haben, greift sie die behördlich festgestellte Ausreisepflicht daher ohne Erfolg an. [...]