VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 21.09.2021 - AN 14 K 20.50353 - asyl.net: M31918
https://www.asyl.net/rsdb/m31918
Leitsatz:

Keine Unterbrechung der Überstellungsfrist durch Antrag nach § 123 VwGO:

Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) führt anders als ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) nicht zur Unterbrechung der Überstellungsfrist. In Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) der Dublin-III-VO ist allein die Entscheidung über den "ersten" Antrag auf Aussetzung genannt. Ein späterer Beschluss ist hinsichtlich der Rechtswirkungen nach der Dublin-III-VO nicht mit einem Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO vergleichbar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Überstellungsfrist, Dublinverfahren, Eilantrag, Suspensiveffekt, Rechtsschutzantrag, vorläufiger Rechtsschutz,
Normen: VO 604/2013 Art. 27, VwGO § 123, VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

[...]

26 a) Die Überstellungsfrist begann im vorliegenden Fall mit der Ablehnung des vom Kläger gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. März 2019 nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO zu laufen.

27 Diese Frist wurde nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert, da der Kläger zwischenzeitlich "flüchtig" im Sinne dieser Bestimmung war. [...]

28 b) Ob diese 18-monatige Frist durch die Aussetzung der Vollziehung der Überstellung nach § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie erneut unterbrochen wurde, ist offen. Die Kammer hat zwar in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass diese Aussetzungen nicht die Überstellungsfrist unterbrechen konnten, da sie unionsrechtlich rechtswidrig erfolgt sind (VG Ansbach, U.v. 13.11.2020 - AN 14 K 19.50319 - juris). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Januar 2021 (1 C 52.20 - juris) in diesem Zusammenhang verschiedene Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt. [...]

30 Dies kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, da im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in jedem Fall die Überstellungsfrist bereits abgelaufen ist.

31 c) Denn auch wenn die Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts in der dargestellten Art und Weise beantwortet werden, begann im vorliegenden Fall die Überstellungsfrist jedenfalls wieder mit dem Widerruf der Aussetzung der Vollziehung bzw. dessen Mitteilung an die Bevollmächtigte des Klägers erneut zu laufen. Sie endete damit 6 Monate später, also am 15. bzw. 23.Januar 2021. [...]

34 Der Tenor des im vorliegenden Fall ergangenen Beschlusses nach § 123 VwGO war aber nicht auf die "Aussetzung der Überstellungsentscheidung" im Sinne von Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) Dublin III-VO gerichtet, sondern vielmehr darauf, der zuständigen Ausländerbehörde aufzugeben, bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Klageverfahrens von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen. Dies ist sowohl vom Wortlaut als auch vom Regelungsgehalt her etwas anderes als die Formulierung in Art. 27 Absatz 3 Buchstabe c) Dublin III-VO.

35 Daher führte der Beschluss nach § 123 VwGO nicht zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass aus der Sicht der Behörde die Wirkungen des Beschlusses nach § 123 VwGO mit der eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO identisch sind. Dies ändert aber nichts daran, dass in Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) Dublin III-VO allein die Entscheidung über den "ersten" Antrag auf Aussetzung genannt sind. Ein später ergehender Beschluss nach § 123 VwGO ist von den Rechtswirkungen nach der Dublin III-VO eben nicht mit einem Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO vergleichbar.

36 Hinzu kommt, dass, wie der vorliegende Fall anschaulich zeigt, eine andere Auslegung dem Zweck der Dublin III-VO, eine zügige Entscheidung über den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylverfahrens zu ermöglichen (vgl. insb. den Erwägungsgrund 5), nicht Rechnung tragen würde. Dies hätte zur Folge, dass inzwischen die vierte Unterbrechung bzw. Verlängerung der Überstellungsfrist vorliegen würde. Nachdem die Zustimmung der Behörden der Slowakischen Republik zur Übernahme des Klägers vom 28. Januar 2019 datiert, dauert das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats inzwischen über 2 ½ Jahre. Auch wenn diese Verzögerung zum größten Teil auf dem Verhalten des Klägers beruht, ist sie mit dem Zweck der Dublin III-VO, eine schnelle Entscheidung darüber, in welchem Mitgliedsstaat das Schutzbegehren zu prüfen ist, zu erreichen, nicht mehr vereinbar. [...]