VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2023 - A 10 S 373/23 - asyl.net: M31939
https://www.asyl.net/rsdb/m31939
Leitsatz:

Kein Schutz für jesidisches Mädchen aus der Provinz Ninive im Irak: 

"1. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine (erneute) Gruppenverfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive [...].

2. Eine flüchtlingsrechtliche relevante Verfolgung ergibt sich für ein sechsjähriges Mädchen nicht aus der geltend gemachten Gefahr, als Jesidin im Irak später einmal zwangsverheiratet zu werden.

3. Grundlage für die Rückkehrprognose mit Blick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bildet die Kernfamilie mit den Eltern im Regelfall auch dann, wenn ein ohne die im Heimatland verbliebenen Eltern eingereistes minderjähriges Kind im Bundesgebiet in einer Lebens­gemeinschaft mit Verwandten (hier: den ebenfalls schutzsuchenden Großeltern) lebt."

(Amtliche Leitsätze; unter Bezug auf: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2021 - A 10 S 2189/21 - asyl.net: M30317; siehe auch: VG Hannover, Urteil vom 05.06.2023 - 3 A 1652/19 (Asylmagazin 10-11/2023 S. 362 ff.) - asyl.net: M31776; VG Weimar, Urteil vom 06.02.2023 - 7 K 361/21 We - asyl.net: M31719)

Schlagwörter: Irak, Yeziden, Gruppenverfolgung, Zwangsehe, Existenzgrundlage, ISIS, Daesh, Genozid, Völkermord,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

20 I. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. Ihr droht bei Rückkehr in den Irak keine flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgungsgefahr. [...]

24 2. Daran gemessen kommt weder ein Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus individuellen Verfolgungsgründen noch aufgrund einer Gruppenverfolgung in Anknüpfung an ihre jesidische Religionszugehörigkeit oder ihr Geschlecht in Betracht.

25 a) Der Klägerin droht bei Rückkehr in den Irak keine Verfolgung aus in ihrer Person liegenden Gründen. [...]

26 Nicht beizutreten vermag der Senat der Überlegung des Verwaltungsgerichts, der Klägerin komme die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zugute, da ihre Familie 2014 vor dem IS geflohen sei. Denn die Klägerin selbst war zum Zeitpunkt der Flucht ihrer Familie vor dem damals vorrückenden IS noch nicht geboren. Die Angehörigen ihrer Familie und die damals im Kleinkindalter befindliche Klägerin sind nach rund vier Jahren nach ... zurückgekehrt und waren dort seitdem keiner weiteren Verfolgung ausgesetzt. Die Flucht der Familie der Klägerin vor dem IS im Jahr 2014 kann daher nicht als fluchtbegründend angesehen werden. [...]

27 Dahingestellt bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob und ggf. in welchem Umfang die Kämpfer des IS die örtlichen Lebensgrundlagen in ... zerstört haben. Für eine nachhaltige Zerstörung der Existenzgrundlagen bestehen freilich insbesondere auch vor dem Hintergrund keine greifbaren Anhaltspunkte, dass die Eltern der Klägerin dort nach wie vor leben. Wie der Senat in seinem Urteil vom 07.12.2021 - (A 10 S 2189/21 - juris Rn. 29 ff.) im Einzelnen dargelegt hat, führt jedenfalls eine in der Vergangenheit erfolgte Verfolgungshandlung in Gestalt eines Entzugs der sozioökonomischen Lebensgrundlagen des Verfolgten mit andauernden Auswirkungen auf die Gegenwart nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn bereits nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass zum Zeitpunkt der Rückkehr des Schutzsuchenden in seine Herkunftsregion die Vornahme einer bestimmten Verfolgungshandlung von einem der Akteure des § 3c AsylG auszugehen droht. Ausgehend hiervon stellt die von dem IS im Jahr 2014 bewirkte Zerstörung der sozioökonomischen Grundlagen jesidischen Lebens trotz ihrer Fortwirkung in bestimmten Regionen heute keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung dar, weil es die Kämpfer des IS jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in der Hand haben, einen Wiederaufbau insbesondere von öffentlicher Infrastruktur - im vorliegenden Fall in der Region um Mossul - zu verhindern.

28 b) Die Klägerin ist auch nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten abgrenzbaren Gruppe in ihrer Herkunftsregion verfolgt.

29 aa) Die Gefahr eigener Verfolgung nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 QRL) für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich erheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. [...]

31 bb) Gemessen hieran droht der Klägerin bei einer Rückkehr an den Wohnort ihrer Eltern in ... im Distrikt ... der Provinz Ninive nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer jesidischen Herkunft und Religion. Die Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel hat die der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung zugrundeliegende Einschätzung der gegenwärtigen Lage in der Herkunftsregion der Familie der Klägerin und im Irak insgesamt bestätigt. Auf Grundlage dieses Lagebilds besteht gegenwärtig keine Gruppenverfolgung von Jesiden. [...]

33 Zwar leiden religiöse Minderheiten - so auch Jesiden - im Zentralirak trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung faktisch nach wie vor unter einer nicht unerheblichen gesellschaftlichen Diskriminierung. Eine systematische Verfolgung von Jesiden durch den irakischen Staat wegen ihrer Religionszugehörigkeit findet im Irak jedoch nicht statt. Auch lässt sich nicht feststellen, dass die irakischen Streitkräfte gezielt gegen die Jesiden vorgingen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die (Luft-)Angriffe der irakischen Armee in der Gegend um die Stadt Sindschar am 01. und 02.05.2022 gegen die Jesiden im Allgemeinen gerichtet waren. Berichten zufolge standen die Angriffe im Zusammenhang mit den seit April 2022 verstärkten Auseinandersetzungen zwischen dem irakischen Militär einerseits und den in der Region Sindschar vorherrschenden jesidischen Milizen (YBS), die der PKK nahestehen, sowie den Ezidxane Asayish forces (Asayish) andererseits (vgl. EASO, Country Guidance: Iraq, Common analysis and guidance note, Juni 2022, S. 211 - "Yezidi branch of PKK"). Die Gewalt zwischen diesen Gruppen eskalierte, nachdem die Türkei am 18.04.2022 die gegen PKK-Ziele gerichtete Operation Claw-Lock in Grenzgebieten der Autonomem Region Kurdistan gestartet hatte und diese gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der mangelnden Fähigkeit des irakischen Staats zur Unterbindung des Terrorismus gerechtfertigt hatte. [...]

34 (2) Es besteht derzeit auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine (erneute) Gruppenverfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive durch den IS.

35 Der IS hat in den Jahren 2014 bis 2017 in Teilen des irakischen Staatsgebiets die Gebietshoheit ausgeübt und in den von ihm beherrschten Gebieten Jesiden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit systematisch in einer Art und Weise verfolgt, die u. a. vom UN-Menschenrechtsrat und im März 2021 auch durch den irakischen Staat als Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen qualifiziert wurden. Nachdem es im Dezember 2017 landesweit gelungen ist, dem IS die Gebietshoheit wieder zu entziehen, fehlen diesem die militärischen Fähigkeiten zu einer Fortsetzung der zuvor von ihm durchgeführten Gruppenverfolgung von Jesiden. Seitdem agiert der IS aus dem Untergrund und versucht, vor allem durch gezielte Terroranschläge regional oder lokal Einflusssphären zu erhalten oder wiederzugewinnen [...], wobei der Erfolg dieser Bemühungen abhängig von den jeweiligen örtlichen Verhältnissen sehr unterschiedlich und hochvolatil ist. [...] Dementsprechend sind die Aktivitäten, die der IS im Distrikt al-Hamdaniya entfaltet, bei Weitem nicht von einer Intensität geprägt, die eine für eine Gruppenverfolgung erforderliche hinreichende sog. Verfolgungsdichte (vgl. Senatsurteil vom 05.03.2020 - A 10 S 1272/17 - juris Rn. 24) zulasten aller in der Region ansässigen Jesiden erreicht [...].

37 (3) Eine die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigende Verfolgungsdichte ergibt sich auch nicht aus den jüngsten Ereignissen in Sindschar, insbesondere die infolge der Rückkehr ehemaliger IS-Kämpfer bzw. Sympathisanten aufgeflammten Unruhen und die in diesem Zusammenhang stehenden Hetzreden islamischer Geistlicher [...]. Hieraus lässt sich allenfalls der Beginn einer für die Gruppe der Jesiden im Irak potentiell gefährlicheren Entwicklung entnehmen, die jedenfalls - auch soweit es nicht bei Einzelfällen bleiben sollte - nicht im Sinne einer zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits bestehenden Gruppenverfolgung fortgeschritten ist. Vielmehr besteht bislang nur das Risiko einer entsprechenden künftigen Entwicklung, was zur Annahme einer aktuell bestehenden flüchtlingsrechtsrelevanten Verfolgung der Gruppe der Jesiden in der Herkunftsregion der Klägerin im Distrikt al-Hamdaniya der Provinz Ninive nicht genügt.

38 (4) Eine Gruppenverfolgung von Jesiden durch andere nichtstaatliche Akteure wie insbesondere durch die zahlreichen im Irak und auch in der Provinz Ninive aktiven Milizen besteht nicht. [...]

39 c) Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr für die Klägerin besteht schließlich auch nicht deswegen, weil ihr in ihrem Heimatland eine Zwangsverheiratung drohen könnte. Dies ergibt sich schon daraus, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage und damit auch des Bestehens einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG im Heimatland des Schutzsuchenden der Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Dass die Klägerin, die im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung kurz vor der Vollendung ihres sechsten Lebensjahres stand, im Irak der Gefahr einer Zwangsverheiratung ausgesetzt wäre, schließt der Senat aus. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass jesidischen Frauen als sozialer Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausnahmslos die Gefahr mit Mitteln im Sinne von § 3a AsylG durchgesetzter Zwangsverheiratung droht - wofür die Erkenntnislage freilich keine belastbaren Anhaltspunkte bietet - und der irakische Staat bzw. die Behörden in der RKI hiervor keinen wirksamen Schutz bieten, würde dies ersichtlich nur für Frauen im heiratsfähigen Alter gelten, zu denen die Klägerin nicht zählt.

40 Für den geltend gemachten Schutzstatus unerheblich ist ferner, ob die Klägerin im weiteren Verlauf ihres Lebens - individuell - einmal einer Situation ausgesetzt sein könnte, in der sie - aus ihrem familiären Umfeld oder auch von Seiten der jesidischen Glaubensgemeinschaft bzw. aufgrund gesellschaftlicher Konventionen - zu einer Heirat gedrängt werden könnte. Denn hierbei handelt es sich ersichtlich um bloße Spekulation, für die es an belastbaren Tatsachengrundlagen fehlte. [...]

41 II. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes, weil sie keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihr in ihrem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG droht. [...]

43 2. Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation im Irak in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen (für die schlechte humanitäre Situation im Irak verantwortlichen) Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 3c AsylG). Die in weiten Teilen des Iraks bestehende allgemein schwierige Versorgungslage (vor allem bezüglich Nahrung, Wasser-, Strom- und Sanitärversorgung, medizinische Versorgung, Wohnraum, Arbeitsmarkt und Sozialwesen) hat vielfältige Ursachen, wird aber nicht zielgerichtet vom irakischen Staat, von herrschenden Parteien oder Organisationen oder von nichtstaatlichen Dritten herbeigeführt. [...]

44 3. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen ebenfalls nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 05.03.2020 - A 10 S 1272/17 - juris Rn. 45 - 51). [...]

50 Hinsichtlich der anzustellenden Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweit herrschenden Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr abzustellen, wobei als Zielort der Abschiebung in der Regel die Herkunftsregion anzusehen ist, in die der Betreffende typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 - juris Rn. 17; Bayerischer VGH, Urteil vom 27.03.2018 - 20 B 17.31663 - juris Rn. 28).

51 b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier der Ort ... im Distrikt ... in der Provinz Ninive maßgeblicher Bezugspunkt für die Gefahrenprognose. Denn dort leben - nach wie vor - die Eltern der Klägerin.

52 Dabei kann offenbleiben, ob im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats in ... ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Jedenfalls besteht für die Klägerin dort im Rahmen eines etwaigen solchen Konflikts keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt. [...]

55 III. Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK in Bezug auf den Irak. [...]

58 aa) Die humanitäre Lage im Irak ist nach wie vor ernst, auch wenn sie sich seit dem Ende der größeren Militäroperationen gegen den IS Ende 2017 stabilisiert hat. Schätzungsweise 6,7 Mio. Menschen bzw. ca. 18 % der Bevölkerung im Irak sind im Jahr 2019 auf humanitäre Hilfe angewiesen. Besonders betroffene Personengruppen sind Menschen, die mit dem IS in Verbindung gebracht werden, Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen [...]. Zudem sind in besonderem Maße Binnenflüchtlinge auf humanitäre Unterstützung angewiesen, und zwar auch dann, wenn sie in ihre Herkunftsorte zurückkehren. [...]

60 Die vom IS befreiten Gebiete sind immer noch durch improvisierte Sprengfallen oder nicht explodierte Kampfmittel kontaminiert. Gerade einige jesidische Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört [...]. Das Vorrücken des IS im Jahr 2014 löste eine Fluchtwelle von etwa 200.000 Personen aus. Die Jesiden stellen noch einen Großteil der Binnenvertriebenen in den Vertriebenenlagern in der Provinz Dohuk. Die volatile Sicherheitslage und die schlechte Versorgungslage in den Herkunftsgebieten (kein fließendes Trinkwasser, keine geregelte Stromversorgung) hält viele Binnenvertriebene von einer Rückkehr ab [...]. Hindernisse für die Rückkehr der Binnenvertriebenen sind vor allem die mangelnde Sicherheit, die Kontaminierung durch Sprengfallen, die Bedrohung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure, die innergesellschaftlichen Spannungen, fehlende Unterkünfte und Basisversorgung und die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Hinzu kommt insbesondere in den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten die Unsicherheit bezüglich des Verhaltens irakischer Sicherheitskräfte und der ihnen formell zugehörigen PMF-Milizen (Popular Mobilisation Forces[...]). Es gibt auch weiterhin Schwierigkeiten bei der Lieferung von humanitären Gütern in die Provinz Ninive und die dortigen Binnenvertriebenenlager, insbesondere kommt es zu Schließungen von Checkpoints und Unsicherheiten über die Zahlung von Steuern auf gehandelte Produkte. Zudem erkennen verschiedene militärische Akteure, die die Checkpoints halten, Passierdokumente nicht an und verlangen zusätzliche Dokumente von NGOs, ohne dass klar ist, woher diese bezogen werden können. Insbesondere behindern die fehlende Koordination und Unklarheiten über Zugänge zu bestimmten Gegenden die Lieferung von humanitären Gütern und die Arbeit der Hilfsorganisationen [...]. Die tägliche Grundversorgung der Rückkehrer ist in den zerstörten Regionen schwer zu gewährleisten. Einige zuvor vom IS besetzte Gebiete sind stark beschädigt und zerstört, sodass es praktisch unmöglich ist, dort eine Unterkunft zu finden. Auch der Zugang zu sauberem Trinkwasser stellt sich in dieser Gegend als Herausforderung dar und medizinische Versorgung und Elektrizität sind an vielen Stellen nicht verfügbar. Für Rückkehrer ist es kaum möglich, genug Geld zu verdienen, um das Nötigste zu erwerben [...].

61 Rückkehrer aus dem europäischen Ausland, namentlich aus Deutschland, können allerdings über unterschiedliche Rückkehr- und Reintegrationsprogramme Unterstützungsleistungen erhalten. [...]

62 bb) Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sowie der individuellen Situation der Klägerin sind für den Senat keine zwingend gegen eine Abschiebung sprechenden humanitären Gründe ersichtlich.

63 (1) Für die Rückkehrprognose ist auf die Kernfamilie der Klägerin mit ihren im Irak lebenden Eltern abzustellen. Denn es ist davon auszugehen, dass die familiäre Bindung zu ihren leiblichen Eltern ungeachtet der räumlichen Trennung und des jungen Alters der Klägerin im Zeitpunkt dieser Trennung sowie des zwischenzeitlich vergangenen Zeitraums fortbesteht. Insbesondere ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Wiederherstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit den Eltern - wie regelmäßig - dem Kindeswohl am besten entspricht. [...]

64 (2) Davon, dass die Eltern der Klägerin nicht in der Lage wären, an ihrem Heimatort im den Irak nicht nur ihre eigenen, sondern auch die elementarsten Lebensbedürfnisse der Klägerin zu befriedigen, kann nicht ausgegangen werden. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass die Eltern der Klägerin derzeit bereits im Irak leben und sich soweit ersichtlich auch ernähren können. [...]