Eilrechtsschutz gegen Dublin-Bescheid hinsichtlich Italiens:
Die nunmehr seit fast einem Jahr anhaltende, weitestgehend uneingeschränkte und somit systemische Verweigerung der Aufnahme von Schutzsuchenden bringt die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK mit sich. An dieser Bewertung ändert auch der Beschluss des BVerwG (Beschluss vom 24.10.2023 - 1 B 22.23 - asyl.net: M31979) nichts, der rügte, dass nicht ohne weiteres von der Weigerungshaltung der italienischen Behörden auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK geschlossen werden könne.
(Leitsätze der Redaktion)
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Denn in Ansehung der Entwicklung der letzten Monate ist davon auszugehen, dass das Asylsystem Italiens (allgemein) systemische Schwachstellen i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Uabs. 2 Dublin III-VO aufweist, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen, weil die italienischen Behörden auf Grundlage der Erklärungen vom 5. und 7. Dezember 2022 (Circular Letters des Ministero dell’Interno) die (Wieder-)Aufnahme von Schutzsuchenden, für die Italien nach den Regelungen der Dublin III-VO eigentlich zuständig ist, eingestellt haben und damit den Zugang zum Asylverfahren und die Aufnahme insgesamt verweigern (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Juli 2023 - 11 A 1722/22.A -, juris, Rn. 46 ff., vom 16. Juni 2023 - 11 A 1132/22.A -, juris, Rn. 47 ff. und vom 7. Juni 2023 - 11 A 2343/19.A -, juris, Rn. 47 ff.).
An dieser Rechtsprechung hält die Kammer auch in Ansehung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2023 (Az. 1 B 22.23) fest, in dem die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung wegen mangelnder Sachaufklärung für verfahrensfehlerhaft erachtet wird. Denn sie ist der Überzeugung, dass allein die (über Monate anhaltende weitestgehend uneingeschränkte und mithin systemische) Verweigerung der Aufnahme von Asylbewerbern im vorliegenden Kontext eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme einer Verletzung von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK liefert. Zwar weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass dies nicht "ohne weiteres" und damit nicht gestützt auf die Weigerungshaltung der italienischen Behörden an sich angenommen werden könne (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2023 - 1 B 22.23 -, juris, Rn. 10). Die Kammer ist aber auch nach diesem Maßstab weiterhin davon überzeugt, dass aufgrund der vorliegenden Gesamtumstände in Bezug auf die derzeitige Lage in Italien eine entsprechende Bewertung geboten ist. Denn entweder trifft die von den italienischen Behörden angegebene Begründung einer Überforderung des Systems, insbesondere der fehlenden Aufnahmekapazitäten, zu mit der Folge, dass im Falle einer Überstellung die essentiellen Bedürfnisse ("Bett, Brot, Seife") der betroffenen Personen rein faktisch nicht erfüllt werden können, oder Hintergrund des Aufnahmestopps ist der politische Wille, keine Asylberechtigten im Land aufzunehmen, der in Zusammenschau mit der schon vor dem Aufnahmestopp bekannten unzureichenden Versorgungslage von Asylbewerbern hinreichende Anhaltspunkte dafür liefert, dass eine weitere Verschärfung der Situation eingetreten ist und auch im Falle einer unterstellten Rückübernahme die grundlegenden (Verfahrens-)Rechte der betroffenen Personen nicht hinreichend geschützt werden. [...]
Unabhängig davon kann die angedrohte Überstellung derzeit in Ansehung des durch Italien erklärten Aufnahmestopps bis auf Weiteres faktisch auch nicht, wie § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG aber verlangt, durchgeführt werden (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 28. Februar 2023 - 1a L 180/23.A -, juris, Rn. 4 ff.). [...]