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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 05.12.2023 - XIII ZB 45/22 - asyl.net: M32126
https://www.asyl.net/rsdb/m32126-1
Leitsatz:

Gericht muss bei Rüge Haftbedingungen aufklären:

1. Der Haftantrag der Ausländerbehörde muss nicht gemäß § 14b Abs. 1 FamFG als elektronisches Dokument an das Haftgericht übermittelt werden.

2. Werden die Haftbedingungen gerügt, verletzt das Gericht die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht, wenn es nicht aufklärt, unter welchen Bedingungen die betroffene Person inhaftiert wird.

3. Die Einschränkung der Freiheit der Inhaftierten ist auf das für die Vorbereitung der Abschiebung unbedingt Notwendige zu beschränken. Die Haftbedingungen müssen sich von denen der Strafhaft wesentlich unterscheiden.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: EuGH, Urteil vom 10.03.2022 - C-519/20 Deutschland gg. K (Asylmagazin 10-11/2022, S. 390 f.) - asyl.net: M30495)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Haftantrag, Schriftform, elektronischer Rechtsverkehr, Haftbedingungen, Amtsermittlung, Rückführungsrichtlinie,
Normen: AufenthG § 62, FamFG § 14b Abs. 1, FamFG § 23, FamFG § 25, FamFG § 26, FamFG § 417 Abs. 1, RL 2008/115/EG Art. 16 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

a) Der Haftantrag musste von der beteiligten Behörde entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht gemäß § 14b Abs. 1 FamFG als elektronisches Dokument an das Amtsgericht übermittelt werden. Seine Einreichung nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 14b Abs. 2 FamFG reichte aus.

aa) Gemäß § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG sind bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen durch einen Rechtsanwalt, einen Notar, eine Behörde oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse als elektronisches Dokument zu übermitteln. Wird diese Form nicht eingehalten, ist die Erklärung unwirksam [...].

bb) Nach diesen Maßgaben ist auch auf den Haftantrag § 14b Abs. 2 Satz 1 FamFG anzuwenden, da dafür kein gesetzliches Schriftformerfordernis besteht. Ein solches folgt weder aus § 417 FamFG, der die Anforderungen an einen zulässigen Haftantrag regelt, noch aus den allgemeinen Verfahrensvorschriften der §§ 23, 25 FamFG.

(1) Nach § 417 Abs. 1 FamFG darf das Gericht eine Freiheitsentziehung nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Der Haftantrag ist gemäß § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zu begründen. Nicht vorgeschrieben ist jedoch, dass der Antrag stets schriftlich zu stellen ist. [...]

(2) Auch die allgemeinen Verfahrensvorschriften der §§ 23, 25 FamFG enthalten kein gesetzliches Schriftformerfordernis im Sinn des § 14b Abs. 1 FamFG. [...]

b) Erfolg hat jedoch die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, das Beschwerdegericht habe die ihm gemäß § 26 FamFG obliegende Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es nicht aufgeklärt habe, unter welchen Bedingungen die Betroffene festgehalten wurde.

aa) Der Bevollmächtigte der Betroffenen hatte im Beschwerdeverfahren ihre Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Hof gerügt. Das Gelände der Justizvollzugsanstalt sei von etwa sechs Meter hohen Mauern und Stahlzäunen umschlossen, auf denen Stacheldraht befestigt sei. Auch auf dem Gelände selbst stünden verschlossene Stahlzäune, die unterschiedliche Bereiche voneinander abgrenzten. Alle Fenster seien vergittert, die Gefangenen dürften sich in der Regel nur auf dem eigenen Stockwerk aufhalten und würden ab dem frühen Abend in ihren Haftzellen eingeschlossen. Der Besitz von Smartphones oder Laptops sei ihnen verboten. Ihre Besuche würden überwacht. Die wenigen Besuchszeiten (soweit bekannt 4 mal 60 Minuten) ähnelten denen in Strafhaftanstalten. Eigene Kleidung dürften die Gefangenen nicht tragen. Bei Anhörungen und Besuchen der Betroffenen seien diese vom Gegenüber durch eine Glasscheibe getrennt und könnten sich nur via Wechselsprechanlage verständigen. Der Vollzug der Haft erfolge in entsprechender Anwendung des Strafvollzugsgesetzes.

bb) Das Beschwerdegericht hat dazu ausgeführt, die Rüge der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Hof sei schon in der Sache unzutreffend. Die Betroffene sei nicht in der Justizvollzugsanstalt Hof untergebracht, sondern vielmehr in der Abschiebehafteinreichung Hof mit einer anderen Anschrift. Das sei dem Bevollmächtigten der Betroffenen ausweislich der Angaben im Vertahrenskostenhilfeantrag auch bekannt.

cc) Damit ist das Beschwerdegericht seinen sich aus § 26 FamFG ergebenden Pflichten nicht nachgekommen.

(1) Nach Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 erfolgt die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht dem Vorliegen einer speziellen Hafteinrichtung nicht entgegen, dass eine Einrichtung administrativ an eine Justizvollzugsanstalt angebunden ist. Die Zwangsmaßnahme muss sich aber auf das beschränken, was für die wirksame Vorbereitung einer Abschiebung unbedingt erforderlich ist. Mit den in einer Abschiebehafteinrichtung geltenden Haftbedingungen muss so weit wie möglich verhindert werden, dass die Unterbringung des Drittstaatsangehörigen einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist. Besondere Aufmerksamkeit hat das Gericht dabei der Ausstattung der speziell zur Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen bestimmten Räumlichkeiten, den Regelungen über deren Haftbedingungen sowie der besonderen Qualifikation und den Aufgaben des Personals, das für die Einrichtung zuständig ist, zu widmen (EuGH, Urteil vom 10. März 2022 - C-519/20, juris Rn. 45 ff., 50, 54 ff.). [...]

(2) Bei verständiger Würdigung des Vortrags in der Beschwerde hat ihr Verfahrensbevollmächtigter vorliegend eine rechtswidrige Unterbringung der Betroffenen in der Abschiebehaft konkret behauptet. Jedenfalls die vorgetragenen Einschränkungen beim Besuch und das behauptete generelle Verbot des Tragens eigener Kleidung gehen über das nach den obigen Maßgaben unbedingt Erforderliche hinaus. Das Beschwerdegericht durfte diesen Vortrag nicht - jedenfalls nicht ohne Hinweis auf das Erfordernis weiteren Vortrags gemäß § 28 FamFG - damit übergehen, dass sich die Betroffene nicht in der Justizvollzugsanstalt, sondern in der Abschiebehafteinrichtung befinde. [...]