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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 05.12.2023 - XIII ZB 15/23 - asyl.net: M32148
https://www.asyl.net/rsdb/m32148
Leitsatz:

Haft wegen zu kurzer Ladungsfrist für Prozessbevollmächtigten rechtswidrig:

1. Lädt das Haftgericht eine*n Rechtsanwält*in mit einer Frist von nur zweieinhalb Stunden zur Haftanhörung, hat diese*r keine realistische Möglichkeit, an dem Termin teilzunehmen oder rechtzeitig eine Terminverlegung zu beantragen.

2. Ordnet das Haftgericht anschließend Abschiebungshaft an, ohne dass die betroffene Person anwaltlich vertreten war, verstößt dies gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, der garantiert, sich in Freiheitsentziehungssachen von einer bevollmächtigten Person ihrer Wahl vertreten zu lassen. Das Gericht hätte Haft höchstens kurzfristig im Wege einer einstweiliger Anordnung anordnen dürfen, um anschließend eine zeitnahe Anhörung mit anwaltlicher Vertretung durchzuführen.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: BGH, Beschluss vom 12.09.2023 - XIII ZB 49/20 - asyl.net: M31947)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Rechtsanwalt, Terminsladung, faires Verfahren, Ladungsfrist, einstweilige Anordnung,
Normen: AufenthG § 62, FamFG § 427
Auszüge:

[...]

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen [...]. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen [...].

b) Diesen Maßgaben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts D. nicht entsprochen. [...]

(1) Es ist zwar zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Betroffene von Rechtsanwalt O vertreten werden könnte und hat dessen Unterrichtung zu Recht für erforderlich erachtet. Indem es Rechtsanwalt O. mit dem um 10:57 Uhr übermittelten Telefax zu dem Anhörungstermin um 13:30 Uhr am selben Tag geladen hat, hat es ihm jedoch keine realistische Möglichkeit eingeräumt, an dem Termin teilzunehmen oder eine Terminverlegung zu beantragen. Eine Reaktion des Anwalts auf das Telefax binnen lediglich zweieinhalb Stunden war nicht ohne Weiteres zu erwarten. Das Amtsgericht musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten aufhalten konnte, und zwar auch außerhalb seines Kanzleisitzes. Zwar ist ein Rechtsanwalt gehalten, eilige Eingänge nach Möglichkeit, etwa über Mittag und/oder vor Dienstschluss seiner Mitarbeiter, in seiner Kanzlei abzufragen, oder dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird. Wird eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung berücksichtigt, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten dafür gegebenenfalls im Hinblick auf eine Eilbedürftigkeit der Sache oder den Terminkalender des Anwalts bestehen, war eine Unterrichtung zweieinhalb Stunden vor dem Termin unzureichend [...].

(3) Das Amtsgericht D hätte vielmehr entweder von vornherein einen Anhörungstermin auf den 16. Dezember 2022 anberaumen, Rechtsanwalt O. mit ausreichender Frist laden und gleichzeitig dem Betroffenen mitteilen können, dass er bis zum Termin Gelegenheit habe, gegebenenfalls einen anderen Verfahrensbevollmächtigten zu beauftragen. Hielt es dagegen am Anhörungstermin am 13. Dezember 2022 fest, hätte es die Haft nicht endgültig, sondern lediglich im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig {§ 427 FamFG) anordnen dürfen, um einen weiteren Anhörungstermin im Beistand eines Verfahrensbevollmächtigten zu ermöglichen.

c) Nach alledem ist zur wirksamen Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren zu vermuten, dass dem Betroffenen der Zugang zu einem Anwalt verwehrt wurde. [...]