Vertrauensperson für Benachrichtigung über Inhaftierung kann auch Organisation sein:
1. Art. 104 Abs. 4 GG bestimmt, dass über die gerichtliche Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich eine Person des Vertrauens der betroffenen Person zu benachrichtigen ist. Zweck dieser Regelung ist es, einer in Haft genommenen Person den Kontakt nach außen zu sichern und ein spurloses Verschwinden von Personen zu verhindern
2. Neben Angehörigen kommen als Vertrauensperson gemäß Art. 104 Abs. 4 GG alle Personen in Betracht, zu denen die festgehaltene Person im Benachrichtigungszeitpunkt eine persönliche oder mittelbare Vertrauensbeziehung hat und von denen Unterstützung erwartet werden darf. Die Eigenschaft als Vertrauensperson setzt kein persönliches, seit langem bestehendes Nähe- und Vertrauensverhältnis voraus. Als Vertrauensperson gemäß Art. 104 Abs. 4 GG kommen neben mandatierten Prozessbevollmächtigten z.B. auch Arbeitskolleg*innen, Botschaftsmitarbeitende, Mitarbeitende von Kirchen oder Flüchtlingsorganisationen in Betracht.
3. Die Pflicht zur Benachrichtigung gemäß Art. 104 Abs. 4 GG entfällt insbesondere nicht, wenn die betroffene Person eine Institution oder Organisation (hier: eine Klinik, in der die betroffene Person zuvor hospitiert hat) benennt statt einer konkreten, dort arbeitenden Person.
4. Die Haftanordnung ist bei einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 104 Abs. 4 GG nicht aufzuheben. Es ist lediglich festzustellen, dass das Grundrecht aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt worden ist.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
1. Der jordanische Beschwerdeführer reiste in die Bundesrepublik Deutschland ein und hospitierte in Erwartung seiner Berufszulassung als Arzt, zuletzt in der Rehaklinik M.
2. Mit Beschluss vom 1. März 2023 ordnete das Amtsgericht Hildburghausen nach persönlicher Anhörung des anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführers Abschiebungshaft an. Im Anhörungsvermerk heißt es: "Der Betroffene erklärte noch: Von meiner Verhaftung soll die Rehaklinik M. benachrichtigt werden." Das Amtsgericht benachrichtigte niemanden. [...]
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen der Benachrichtigung durch das Amtsgericht und die Zurückweisung des Feststellungsantrags durch das Landgericht wendet, ist sie zulässig und in einer im Sinne einer die Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet.
a) Das Amtsgericht hat das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt, indem es unterlassen hat, einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens davon zu benachrichtigen, dass es mit Beschluss vom 1. März 2023 Abschiebungshaft angeordnet hat.
aa) Art. 104 Abs. 4 GG, wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist, ist nicht nur eine objektive Verfassungsnorm, die dem Richter eine Verpflichtung auferlegt; sie verleiht dem Festgehaltenen vielmehr zugleich ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet wird [...]. Der Zweck des Art. 104 Abs. 4 GG ist es, einer in Haft genommenen Person den Kontakt nach außen zu sichern und damit ein spurloses Verschwinden von Personen zu verhindern [...].
Ungeachtet der Frage, ob es Situationen gibt, in denen der Haftrichter von einer Benachrichtigung absehen darf oder sogar muss, ist unbestritten, dass der Haftrichter den Festgehaltenen zuvor zumindest fragen muss, wen er benachrichtigen könne.
bb) Gemessen daran hat das Amtsgericht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt, indem es unterlassen hat, einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens davon zu benachrichtigen, dass es mit Beschluss vom 1. März 2023 Abschiebungshaft angeordnet hat.
(1) Die Benachrichtigung einer Vertrauensperson im Sinne des Art. 104 Abs. 4 GG erscheint bei der Angabe des Beschwerdeführers, die "Rehaklinik M." solle benachrichtigt werden, nicht unmöglich. Vielmehr lag es nahe, eine mit der Organisation des Personals oder mit der Arbeitseinteilung ärztlicher Hospitanten betraute Person in der Klinik zu benachrichtigen.
Die Eigenschaft als Vertrauensperson setzt kein persönliches, seit langem bestehendes Nähe- und Vertrauensverhältnis voraus [...]. Vertrauenspersonen sind vielmehr jegliche Personen, zu denen der Festgehaltene im Benachrichtigungszeitpunkt eine persönliche oder mittelbare Vertrauensbeziehung hat und von denen er sich Unterstützung erwarten darf [...]. Vertrauenspersonen können daher neben dem von dem Festgehaltenen mandatierten Prozessbevollmächtigten zum Beispiel auch Berufskollegen sein [...].
Ebenso kommen Botschaftsmitarbeiter [...] sowie Mitarbeiter von Kirchen oder Flüchtlingsorganisationen [...] als Vertrauenspersonen in Betracht, sofern der Beschwerdeführer diese als solche ansieht. Dass insoweit eine Benachrichtigungspflicht entfallen sollte, falls der Festgehaltene die Institution oder Organisation, aber keine Mitarbeiter namentlich benennt, ist nicht nachvollziehbar. [...]