Subsidiärer Schutz wegen drohender Racheakte durch eine kriminelle Gruppierung:
Bei der Entführung des Klägers hat sein Vater einen der Angreifer erschossen, und bei der Befreiung des Klägers wurden zwei Mitgliedern der Gruppierung von der Polizei verhaftet. Diese kriminelle Gruppierung habe daraufhin der Familie gedroht, sie zu töten. Daher ist davon auszugehen, dass dem Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan unmenschliche Behandlung oder sogar Mord droht.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
2. Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG. [...]
b. Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Einzelrichterin aufgrund des Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass dem Kläger im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die kriminelle Vereinigung droht, die ihm vor seiner Ausreise aus Afghanistan bereits entführt hatte. [...]
Im Weiteren ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul unmenschliche Behandlungen bis hin zu seiner Ermordung befürchten muss. Denn ihm droht nach wie vor ein Racheakt durch die kriminelle Gruppierung. Hierzu hat der Kläger nachvollziehbar erklärt, dass seiner Familie Rache dafür angedroht worden sei, dass der Vater eines der Mitglieder erschossen habe, sowie dafür, dass bei der Befreiung des Klägers durch die Polizei zwei Mitglieder der Gruppierung verhaftet worden seien. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln kann sich eine derartige Rache in Afghanistan Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30. August 2018, S. 111, Rn. 617, m.w.N.). Es ist ferner davon auszugehen, dass der Kläger wegen der von ihm geschilderten Probleme früher oder später in Kabul entdeckt wird und ihm dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut Angriffe auf Leib und Leben drohen.
Diese Gefahr geht auch von einem Akteur im Sinne der §§ 3c, 4 Abs. 3 AsylG aus. Eine schutzbereite sowie schutzwillige Polizei gibt es jedenfalls seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan nicht mehr.
Zudem besteht für den Kläger nach der Machtübernahme der Taliban keine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3e AsylG (mehr). Hierbei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Kläger nachvollziehbar und glaubhaft davon berichtet hat, keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Afghanistan zu haben. Damit wäre er bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf sich allein gestellt. Aufgrund der derzeitigen humanitären Situation in Afghanistan ist nicht anzunehmen, dass es dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan gelingen wird, außerhalb von Kabul selbständig für sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften. [...]