Für Minderjährige muss bei getrennter Einreise ein gesondertes Wiederaufnahmeersuchen gestellt werden:
1. Die Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO für ein Wiederaufnahmeersuchen wird nur durch ein formell ordnungsgemäßes und prüffähiges Wiederaufnahmegesuch entsprechend dem Formblatt gemäß Art. 23 Abs. 4 Dublin-III-VO gewahrt.
2. Art. 20 Abs. 3 S. 1 Dublin-III-VO - wonach für gemeinsam mit ihren Eltern oder im anfragenden Staat geborene Kinder kein gesondertes Zuständigkeitsverfahren durchzuführen ist - ist nicht anwendbar, wenn Minderjährige deutlich vor oder nach den erwachsenen Familienangehörigen einreisen [hier: knapp ein Monat]. Von einer gemeinsamen Einreise gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO ist dann nicht mehr auszugehen. Es handelt sich dann um eine sukzessive Einreise, sodass für minderjährige Kinder ein eigenes Wiederaufnahmegesuch zu stellen ist.
(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Meiningen, Beschluss vom 08.01.2019 - 2 E 1334/18 Me - asyl.net: M27747)
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Der am ... geborene Kläger zu 1. und die am ... geborene Klägerin zu 2. sind afghanische Staatsangehörige. Sie reisten am ... 2023 zunächst ohne ihre Eltern in das Bundesgebiet ein und stellten am 3. August 2023 jeweils förmlich einen Asylantrag.
Am ... 2023 reisten auch die Eltern der Kläger, die Kläger im Verfahren 4 K 2067/23.A, in das Bundesgebiet ein und stellten am 26. Juni 2023 jeweils förmlich Asylanträge.
Am 23. August 2023 richtete die Beklagte jeweils ein Wiederaufnahmeersuchen nach der Dublin-III-VO für die Eltern der Kläger an die zuständigen spanischen Behörden. Dabei wies sie im Rahmen des Unterpunkts "Sonstige zweckdienliche Informationen" unter anderem darauf hin, dass der jeweilige Elternteil vom namentlich genannten Ehepartner und von den Klägern begleitet sei. Für die Kläger würden die spanischen Behörden separate Ersuchen unter der Fallnummer ... erhalten. Die Kläger seien bereits am 21. April 2023 in das Bundesgebiet gelangt. Eigene Wiederaufnahmeersuchen für die Kläger fertigte die Beklagte nicht. [...]
I. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Asylanträge der Kläger unter Verweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abzulehnen. [...]
Nach Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO ist vielmehr die Beklagte zur Prüfung der Asylanträge der Kläger berufen. [...]
Die Beklagte hat für die Kläger unstreitig keine eigenständigen Wiederaufnahmeersuchen an die spanischen Behörden gerichtet.
Die Erwähnung der Kläger im Abschnitt "Sonstige zweckdienliche Informationen" der Wiederaufnahmeersuchen ihrer Eltern genügt den Anforderungen des Art. 23 Abs. 4 Dublin-III-VO nicht. Der Verweis auf das Standardformblatt impliziert, dass dieses grundsätzlich vollständig und richtig ausgefüllt werden muss, mithin die relevanten Informationen durch den ersuchenden Mitgliedstaat gefiltert und in die zugehörigen Zeilen und Spalten eingetragen werden müssen. Andernfalls wäre eine zügige Erfassung der relevanten Informationen durch den ersuchten Mitgliedstaat nicht möglich und das Formblatt überflüssig. [...]
Separate Wiederaufnahmeverfahren für die minderjährigen Kläger waren auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO entbehrlich. Danach ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss. Ist Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO einschlägig, kann auf ein eigenständiges Wiederaufnahmeverfahren für den Minderjährigen verzichtet werden; sie werden regelmäßig lediglich im Rahmen der für die Eltern erstellen Ersuchen erwähnt und teilen - was die Bestimmung des für die Prüfung der Asylanträge zuständigen Mitgliedstaats betrifft - das rechtliche Schicksal ihrer Eltern.
So liegt der Fall hier nicht. Die Kläger sind bereits am 21. April 2023 in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Eltern folgten erst am 25. Mai 2023. Auf einen solchen Fall der sukzessiven Einreise ist Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin-III-VO nicht anwendbar.
Dies folgt bereits aus seinem Wortlaut, der voraussetzt, dass der Minderjährige mit einem antragstellenden Familienangehörigen einreist. Der Fall einer sukzessiven Einreise (also erst die Kinder, dann die Eltern oder umgekehrt) ist danach nicht erfasst. Es wird insbesondere nicht auf einen gemeinsamen Aufenthalt der Familienmitglieder im Bundesgebiet abgestellt. [...]
Es entspricht auch der Systematik der Dublin-III-VO, dass Fälle einer sukzessiven Einreise von Familienangehörigen nicht von Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin-III-VO erfasst werden. Da gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO bei der Bestimmung des nach den Kriterien des Kapitels III zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt, kann infolge der Einreise eines Minderjährigen die Zuständigkeit für die Bearbeitung seines Asylantrags bereits aufgrund spezieller Zuständigkeitsregelungen (insb. Art. 8) feststehen, bevor Familienangehörige nachziehen. [...]
In Ermangelung eines Wiederaufnahmegesuchs ist damit die Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO zwischenzeitlich abgelaufen und die Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge der Kläger gemäß Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen. [...]