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VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 17.10.2023 - 10 K 3173/20.A - asyl.net: M32472
https://www.asyl.net/rsdb/m32472
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen drohender Reinfibulation:

Einer jungen Frau aus Somalia droht die wiederholte Reinfibulation. Sie erlitt in Somalia Beschneidungen im Kindesalter und nach ersten Entbindung.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Somalia, Genitalverstümmelung, Reinfibulation, Flüchtlingsanerkennung, Frauen, Genitalbeschneidung
Normen: AsylG § 3
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Grundsätzen ist unter Berücksichtigung des insoweit glaubhaften Vorbringens der Klägerin im Laufe ihres Asylverfahrens und der eindeutigen Auskunftslage zur Verbreitung von Genitalbeschneidungen in Somalia ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung gegeben.

Mit den Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20. Juli 2021 und 26. Juli 2022 hat die Klägerin unter Vorlage eines Berichtes des ... Berlin-... glaubhaft vorgetragen, dass sie am Genital beschnitten und zugenäht worden ist. Laut dem ärztlichen Attest leidet sie seit der Genitalverstümmelung an den körperlichen und seelischen Folgen. Es zeigte sich nach dem Attest eine Genitalverstümmelung mit FGM Typ II im ca. 6.-7. Lebensjahr, wahrscheinlich ehemals Typ III der Beschneidung. Laut Attest erlitt die Klägerin eine erneute Beschneidung nach der ersten Entbindung und nach den weiteren vaginalen Entbindungen und der Deinfibulation ist der Introitus vaginae weit offen.

Durch diese entsprechenden Maßnahmen in Somalia hat die Klägerin eine Vorverfolgung erlitten, so dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen müssen, dass die Betroffene erneut von Verfolgung bei einer Rückkehr bedroht wird. Derartige stichhaltige Gründe sind nicht erkennbar. Vielmehr droht umgekehrt eine Reinfibulation. [...]

Gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6, 3 b Abs. 1 Nr. 4, 3 c Nr. 3, 3 d Abs. 1 AsylG liegt damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (junge Frau) anknüpfend an die Geschlechtszugehörigkeit vor, die ausgeht von nichtstaatlichen Akteuren, ohne dass der Staat willens oder in der Lage ist, Schutz zu gewähren, und die schwerwiegend ist. [...]