VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 11.06.2024 - 34 L 29/24 A - asyl.net: M32560
https://www.asyl.net/rsdb/m32560
Leitsatz:

Widerruf des subsidiären Schutzstatus wegen öffentlicher Billigung der Hamas

1. Ideologisch-propagandistische Unterstützungshandlungen von einigem Gewicht zugunsten einer terroristi­schen Vereinigung (Hamas), die im maßgeblichen Zeitraum der Unterstützungshandlungen terroristische Handlungen begeht, sind als Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen, anzusehen und können zum Ausschluss von der Zuerkennung subsidiären Schutzes führen.

2. Auf eine unmittelbare Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung kommt es nicht an, sondern auf eine individuelle Würdigung aller Umstände im Einzelfall, nach denen die Verantwortung des Betroffenen zu beurteilen ist. Nach der Resolution 1377 (2001) des UN-Sicherheitsrates laufen nicht nur terroristische Handlungen den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider, sondern in ähnlicher Weise auch die Finanzierung, Planung, Vorbereitung und jede andere Form der Unterstützung von terroristischen Handlungen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 31. Januar 2017 – C-573/14 –, juris Rn. 46 f.).

(Amtliche Leitsätze, unter Bezug auf: BVerwG, Urteil vom 19.11.2013 - 10 C 26.12 - asyl.net: M21361)

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, Widerruf, terroristische Vereinigung, Unterstützung, Hamas, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Samidoun,
Normen: AsylG § 4 Abs. 2, AsylG § 73 Abs. 2
Auszüge:

[...]

24 Zunächst ist festzustellen, dass in Bezug auf den Antragsteller, soweit bekannt, ausschließlich individuelle Vorwürfe im Raum stehen, die sich auf eine ideologisch-propagandistische Unterstützung von terroristischen Organisationen beziehen. Ihm wird weder vorgeworfen noch ist anderweitig derzeit ersichtlich, dass er selbst aktiv an terroristischen Handlungen durch Teilnahme als Kämpfer beteiligt war oder sie unmittelbar im Vorfeld gefördert hat, wie zum Beispiel durch die Anwerbung von potentiellen Kämpfern oder finanzielle Unterstützung einschließlich der Einwerbung von Mitteln für terroristische Organisationen oder sonstige logistische Unterstützung. Derartiges ergibt sich weder aus dem Bescheid des Bundesamtes vom 10. Januar 2024 noch aus den vorgelegten Erkenntnissen und den Verwaltungsvorgängen.

25 Es bestehen zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller Mitglied einer auf der EU-Terrorliste erfassten Organisation ist, auch wenn der Antragsteller mit terroristischen und anderen Gruppierungen in Verbindung gebracht wird, von denen die PFLP und die Hamas auf der EU-Terrorliste stehen (vgl. EU-Terrorliste, Positionen 9 und 17).

26 Es liegen jedoch gewichtige Anhaltspunkte vor, dass der Antragsteller terroristische Organisationen – insbesondere die Hamas – ideologisch-propagandistisch in einem Zeitraum unterstützt hat, in dem diese Organisationen terroristische Akte verübt haben. [...]

29 Es gibt gewichtige Indizien, dass der Antragsteller die terroristischen Akte der Hamas (und anderer palästinensischer Terrororganisationen) am 7. Oktober 2023 und in den Folgewochen verharmlost, gebilligt und legitimiert und hierdurch einen gewichtigen Beitrag geleistet hat, um die Akzeptanz und Unterstützung der Hamas und deren Handlungen jedenfalls innerhalb der palästinensischen Diaspora sowie deren Unterstützerkreis im Bundesgebiet zu beeinflussen.

30 Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsteller der sog. ... der deutschen Teilorganisation Samidoun Deutschland war, die durch sofort vollziehbaren Bescheid des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat vom 2. November 2023 verboten worden ist. Dass er in der Organisation Mitglied war, ergibt sich insbesondere aus seinem Interview mit der ... am ... 2023. Dieses Interview führte er unter seinem Aliasnamen ... (vgl. auch Aliasname im Bescheid vom 10. Januar 2024). Seine herausgehobene Stellung als sog. ... ergibt sich ergänzend aus der Kampagne zugunsten des Antragstellers (vgl. samidoun.net/..., zuletzt abgerufen am 11. Juni 2024, Bescheid des Bundesamtes vom 10. Januar 2024, Fn. 20). [...]

35 Auf eine unmittelbare Mitgliedschaft des Antragstellers in einer terroristischen Organisation kommt es jedenfalls nicht an. Dieses Erfordernis lässt sich den genannten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen. Zwar bestand in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten jeweils eine Mitgliedschaft der dortigen Betroffenen in terroristischen Vereinigungen und es ging darum, ob allein aufgrund dieser Mitgliedschaft oder nach im Einzelnen zu bestimmenden Maßstäben der Zurechnung von Verantwortlichkeit im Rahmen einer Mitgliedschaft ein Ausschluss vom internationalen Schutz zu rechtfertigen war, insbesondere ob z.B. eine herausgehobene Stellung die Vermutung einer individuellen Verantwortlichkeit rechtfertigt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 – C-57/09 und C-101/09 –, juris Rn. 88 ff., 98). Dies schließt jedoch gerade nicht aus, dass sich ein Ausländer als Nichtmitglied einer terroristischen Organisation anderweitig an terroristischen Handlungen beteiligt. Dies folgt schon aus der Resolution 1377 (2001) des Sicherheitsrates, wonach nicht nur die terroristischen Handlungen den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, sondern in ähnlicher Weise auch die Finanzierung, Planung, Vorbereitung und jede andere Form der Unterstützung von terroristischen Handlungen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 31. Januar 2017 – C-573/14 –, juris Rn. 46 f.). Andernfalls könnten Personen, die als Nichtmitglieder terroristischen Organisationen z.B. Informationen liefern, sie finanzieren oder deren Mitgliedern Unterschlupf gewähren, schon deshalb nicht als asylunwürdig angesehen werden, obwohl sie ggfs. einen gewichtigen Beitrag zur Unterstützung leisten. Gegenteiliges folgt auch nicht daraus, dass der Ausschlusstatbestand eng auszulegen ist. Die gebotene enge Auslegung erfolgt über die Würdigung aller Umstände im individuellen Einzelfall des Betroffenen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 9. November 2010 – C-57/09 und C-101/09 –, juris Rn. 87).

36 Für den Ausschluss von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes kommt es schließlich weder auf eine konkrete Wiederholungsgefahr oder eine gegenwärtige Gefahr für die Bundesrepublik an noch bedarf es einer gesonderten Prüfung der Verhältnismäßigkeit (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010, a.a.O., Rn. 105 und 111; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 1. September 2011 – 4 LB 11/10 –, juris Rn. 49). Auch die übrigen Voraussetzungen der Widerrufsentscheidung liegen vor. Insbesondere ist die Entscheidung nicht fristgebunden. Ein Ermessen der Behörde besteht nicht. [...]