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VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 30.01.2024 - 4 A 150/23 - asyl.net: M32566
https://www.asyl.net/rsdb/m32566
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für Musiker aus Afghanistan: 

Der Kläger, der in Afghanistan als Sänger und Musiker tätig war, würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan durch die Taliban aufgrund seiner Karriere mit erkennbar westlichen Elementen verfolgt werden. Zwar haben die Taliban Musik nicht offiziell verboten, sie wird aber missbilligt. Es gibt Berichte über Einschüchterungen, Gewalt und Drohungen gegen Künstler. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass der Kläger seine musikalische Vergangenheit aus dem Internet löschen kann, um so eine mögliche Verfolgung zu verhindern. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Afghanistan, Berufsgruppe, Musiker, westlicher Lebensstil,
Normen: AsylG § 3 Abs. 4, AsylG § 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest - und ist zudem auch unbestritten - dass der Kläger in Afghanistan als Musiker und Sänger tätig war. So hatte er im Jahr ... an der Fernsehsendung ... teilgenommen, bevor er eine musikalische Karriere in Afghanistan weiter vorantrieb. Er gab in dieser Zeit Konzerte und sang auf Veranstaltungen. Außerdem nahm er Videoclips auf und trat bei verschiedenen Fernsehsendern auf.

Bis heute finden sich u.a. auf YouTube diverse Videoclips, die ganz offensichtlich professionell produziert wurden und den Kläger als Sänger zeigen. Ebenso finden sich im Internet noch zahlreiche Ausschnitte aus der Fernsehsendung .... Insbesondere in den vom Kläger produzierten Videoclips präsentiert sich dieser in weiten Teilen mit einem erkennbar "westlichen" Auftreten. [...]

Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner früheren Karriere als Musiker - und insbesondere aufgrund deren konkreten Ausgestaltung mit erkennbar westlichen Elementen - seitens der Taliban als politischer Gegner wahrgenommen werden und aufgrund dessen in flüchtlingsrelevanter Weise verfolgt werden würde. Er könnte seine frühere berufliche Tätigkeit als Musiker vor den Taliban auch nicht verbergen. Denn der vom Kläger seinerzeit genutzte Künstlername stimmt mit dem bürgerlichen Namen des Klägers de facto überein. Daher können die o.g. Videos nach einer einfachen Internet-Recherche problemlos mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden.

Das Gericht teilt insoweit auch nicht die Auffassung der Beklagten, der Kläger könne eine mögliche Verfolgung dadurch verhindern, dass er die im Internet abrufbaren Videos von der jeweiligen Internetplattform löschen lässt. Denn z.B. die Suchmaschine Google zeigt bei der Eingabe des Künstlernamens des Klägers rund 4.700 Ergebnisse an. Diese Ergebnisse beinhalten Treffer auf unterschiedlichsten Plattformen, wie z.B. YouTube, Apple Music, Spotify, Amazon und Afghan Star TV. Es ist daher lebensfremd anzunehmen, der Kläger könne seine musikalische Vergangenheit aus dem Internet herauslöschen. [...]